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Liebeserklärung in Schwarzweiß

Petra Tabeling14. April 2002

Der Stummfilmklassiker "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" bannte die Atmosphäre der Stadt in den zwanziger Jahren auf Zelluloid. 75 Jahre danach hat Thomas Schadt die Hauptstadt porträtiert.

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Thomas Schadt und Kameramann Thomas KellerBild: teamWorx, Berlin

Walter Ruttmann wagte sich 1927 mit seinem filmischen Porträt "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" hoch hinaus. Denn der Regisseur versuchte mit seinerzeit ungewöhnlichen Mitteln einen Tag in der deutschen Hauptstadt auf Zelluloid zu bannen. Mit schnellen Schnitten und einer eigens komponierten Musik wollte er die ganz besondere Atmosphäre "seines" Berlins in einer filmischen Montage einfangen. Das Publikum war begeistert, doch Kritiker warfen ihm mangelndes soziales und politisches Engagement vor. Der Film gebe kein realistisches Porträt der Stadt Berlin wieder, die Form sei wichtiger als der Inhalt.

Berlin Die Sinfonie der Grosstadt Filmplakat
Berlin Die Sinfonie der Großstadt Filmplakat

Realistisches Porträt der Hauptstadt

Das wollte der Dokumentarfilmer Thomas Schadt bei seinem Berliner Filmporträt mit ähnlichem Titel "Berlin. Sinfonie der Großstadt" von vorneherein vermeiden. In über 100 Drehtagen und mit einem Budget von 1 Million Euro filmte er typische Berliner Szenen, die er - genau wie sein Filmvorgänger Ruttmann - in Schwarzweiß und zu einem Tag zusammenfasste. Puzzle-Arbeit für den deutschen Dokumentarfilmer, denn er hatte die Qual der Wahl: Aus 600 Filmszenen musste er eine Auswahl treffen.

Love Parade und Straßenbauer - Berlin an einem Tag

Schadt hält seine 35-mm-Kamera auf die Essensausgabe in der Suppenküche, auf den tobenden Verkehr oder auf Straßenbauer, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Auch die Love Parade und die Demonstration am 1. Mai finden in seinem Film an einem Tag statt. Das was Walter Ruttmann vor 75 Jahren niemals ahnen konnte, ist wesentliche Filmaussage von Thomas Schadt: die Teilung der Stadt, Bau und Fall der Mauer. Denn diese wichtigsten Ereignisse der deutschen Nachkriegsgeschichte spiegele sich nach Meinung des Filmemachers auch in den Seelen der Berliner. Auch wenn es ihrer Stadt äußerlich nicht anzusehen sei. Die Wahl der Drehorte sei dabei völlig unabhängig von den alten Schauplätzen des Filmvorgängers gewesen, so Thomas Schadt gegenüber DW-WORLD.

Berlin Die Sinfonie der Grosstadt Filmszene
Berlin. Die Sinfonie der Großstadt FilmszeneBild: teamWorx, Berlin

Moderner Stummfilm mit Musik

Auf die filmisch revolutionäre Umsetzung mit schnellen Schnitten wie in Walter Ruttmans Berliner Porträt verzichtet der "neue" Film ganz. Er wirkt durch die Länge der Einstellungen. Und lässt damit Raum für Interpretationen. Unverdeckte Blicke aufs Berliner Alltagsleben, untermalt mit eigens komponierter Sinfonie. Die Komponisten Iris ter Schiphorst und Helmut Oehring haben zusammen mit dem Sinfonieorchester des SWR eine Partitur kreiert. Sie soll die Bilder nicht illustrieren, sondern als eigenständige zeitgenössische Großstadtsinfonie verstanden werden, mit modernen Jazz- und Rockeinflüssen.

Kein Remake, sondern Neuinterpretation

Sinfonie gleich Sinfonie? Nein, der Dokumentarfilmer Thomas Schadt will seinen Film nicht als Remake des Stummfilmklassikers verstanden wissen, sondern als eigenständiges Projekt. Den Grimme-Preisträger faszinierte an Ruttmanns Film vor allem das fotografische Konzept. Kein Wunder, denn Schadt ist selbst Fotograf und einer der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmer. Die Gesellschaft im direkten Blick der Kamera ist seine Spezialität. Für die Produktion "Der Autobahnkrieg" (1991), die von Raserei und Rücksichtslosigkeit auf deutschen Autobahnen handelt, erhielt er 1993 den Grimmepreis. Mit seiner Neuinterpretation des Filmklassikers über Berlin hat der gebürtige Nürnberger zugleich seine Hommage an die Stadt Berlin geschaffen, in der er seit 20 Jahren lebt.

Bundesweiter Kinostart von "Berlin. Sinfonie der Großstadt" am 18.04.2002