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Lille ist längst nicht mehr grau

Gerd Schmitz5. Januar 2004

Feste, Spektakel, Visionen von einer neuen Lebensweise und dazu ein paar 100 Kulturprojekte. Dies verspricht die nordfranzösische Stadt Lille, die in diesem Jahr neben Genua Kulturhauptstadt Europas ist.

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Vorfreude in LilleBild: AP

Die Stadt Lille hat gewaltig investiert: Fassaden, ganze Häuserzeilen, Straßen und Plätze wurden saniert, es entstanden allein drei neue Vier-Sterne-Hotels. Die Stadt, die nie bombardiert, aber lange vernachlässigt worden ist, hat sich herausgeputzt. Sie wird wieder entdeckt, weil die Touristen Authentisches suchen, wie beispielsweise den wunderbar restaurierten Straßenzug "Rang du Beauregard" aus dem 17. Jahrhundert:

100 Millionen Menschen ganz in der Nähe

Lille la Grande Place
Das Herz der Stadt: La Grande PlaceBild: dpa

Lille ist die Hauptstadt der Region Nord-Pas-de-Calais und zählt etwa 215.000 Einwohner. Der Ballungsraum Lille ist mit 87 Gemeinden und mehr als einer Million Einwohnern das viertgrößte urbane Zentrum Frankreichs. In einem Umkreis von 300 Kilometern sind 100 Millionen Europäer zu erreichen: Briten, Belgier, Luxemburger, Niederländer, Deutsche und natürlich Franzosen.

Lille war das Zentrum der nordfranzösischen Kohle- und Textilindustrie, eine graue, triste Arbeiterstadt. Als erst die Kohlebergwerke schlossen und kurz darauf auch die großen Textilfirmen in Lille, Roubaix und Tourcoing, setzte ein ebenso schwieriger wie schmerzvoller Strukturwandel ein, der Wandel von der Industrie zur Dienstleistung.

In Lille prallten der Woll-Kapitalismus und der Arbeiter-Sozialismus aufeinander. Im Stadtteil Saint-Sauveur schrieb 1888 Pierre Degeyter die Melodie zu Eugène Pottiers Gedicht "L´Internationale". Doch an die industrielle Vergangenheit wird der Besucher allenfalls noch im Viertel Moulins erinnert. Dort wurden die brachliegenden Gebäude zu Studentenwohnungen umgewidmet.

Die Sonne im Herzen

"Die Menschen des Nordens tragen die Sonne im Herzen, die sie draußen nicht haben", heißt es in einem bekannten französischen Schlager. Und so sitzt man selbst bei Wind und Wetter auf den Terrassen. Lille ist eine quicklebendige, fröhliche Stadt und statistisch betrachtet eine sehr junge: 28 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre, was sicher auch an den über 100.000 in Lille eingeschriebenen Studenten liegt.

Verkannte Schönheiten

In Lille drohte das Alte unter zu gehen. Dabei besitzt die Stadt das nach dem Louvre zweitgrößte Museum Frankreichs. Mit etwa 3000 Zeichnungen und Bildern flämischer, holländischer, italienischer, französischer und spanischer Meister ist das Musée des Beaux-Arts alleine schon eine Reise wert. Doch die zahlreichen Werke von Goya, Rubens, Van Dyck, Delacroix, Monet, Renoir, Toulouse-Lautrec, Donatello und David - um nur einige Namen zu nennen - konnten das graue Image der Stadt auch nicht aufhellen.

Das Umdenken erfolgte vor etwa zehn bis 15 Jahren. Zuerst kam der Hochgeschwindigkeitszug TGV, dann die erfolglose Olympia-Kandidatur und dann die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. Dabei mag auch geholfen haben, dass der damalige französische Premier Pierre Mauroy Bürgermeister von Lille war. Jedenfalls müssen viele Millionen an Fördergeldern geflossen sein. Der lange unter "modernem" Putz verborgene Architekturstil des 17. und 18. Jahrhunderts, eine Mischung aus Sandstein, Ziegel und Kalksteinskulpturen, gibt dem Altstadtbild heute wieder eine eigene Note.

Neues Leben in der Altstadt

Lille war eine Handelsstadt. Die Händler hatten zwar eine Tuchhalle, aber keinen richtigen Handelsplatz. So entstand wie etwa in Hamburg oder Antwerpen im Jahre 1652 die prächtige Vieille Bourse, die Alte Börse, im Stil der flämischen Renaissance eines der schönsten Gebäude der Stadt. Das Ensemble setzt sich zusammen aus 24 zweistöckigen Häuschen im Ornament verliebten flämischen Barockstil. Hier trifft man Bouquinisten, also Straßenbuchhändler, und Schachspieler. An lauen Sommerabenden wird hier gerne getanzt, vorzugsweise Tango.

Nach Avignon und Paris ist Lille die dritte französische Stadt, die sich ein Jahr lang mit dem begehrten Titel "Kulturhauptstadt Europas" schmücken darf. Lille ist wider Erwarten eine schöne Stadt, eine Stadt, in die man längst nicht mehr nur kommt, um Geschäfte zu machen, sondern auch um dem Vergnügen nachzugehen.