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Lionel Jospin: der französische "Monsieur Propre"

Insa Wrede22. April 2002

Er ist kein Mann des Volkes und seine Überkorrektheit soll andere schon zur Weißglut gebracht haben. Zum Präsidenten wollten ihn die Franzosen nicht wählen. Nun zieht er die Konsequenz.

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Trotz kämpferischer Gesten ist Jospin der große VerliererBild: AP

Für Jospin kam es wahrscheinlich genauso überraschend wie für viele andere Franzosen. Hatten doch alle Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Chirac vorhergesagt. Stattdessen machte der Rechtsradikale Le Pen im ersten Wahlgang das Rennen, und Jospin ist raus aus dem Spiel. Entsprechend seinem Ruf als "Monsieur Propre" zieht Jospin die Konsequenz und verabschiedet sich aus der Politik.

Noch in der Wahlnacht protestierten Zehntausende gegen Le Pen. Selbst die Sozialisten – vor der Wahl noch Chiracs Gegner – wollen nun Chirac unterstützen. Die Wahl Le Pens sei für ihn nach fünf Jahren an der Regierung sehr enttäuschend, sagte Jospin. Trotzdem sei er stolz auf das Ergebnis seiner Arbeit.

Vertrauenswürdig, aber kein Charisma

Lionel Jospin galt als aussichtsreicher Kandidat, obwohl er etwas steif und bieder wirkt. Er ist zurückhaltend, seriös, eben ein Vernunftmensch und kein Populist wie sein Hauptgegner Jacques Chirac. Außerdem war er anders als Chirac in keine Korruptionsaffären verstrickt.

Trotzdem reichte das Vertrauen in Jospin 1995 nicht für das Präsidentenamt. Haarscharf gewann Chirac die Wahl in der zweiten Runde. In die Regierung gelangte Jospin dann aber doch noch, allerdings mit zwei Jahren Verspätung: Nachdem Chirac das Parlament vorzeitig aufgelöst hatte, wählten die Franzosen den "Monsieur Propre" zum Ministerpräsidenten. In seiner Regierungszeit erlebte die französische Wirtschaft einen Aufschwung. Außerdem führte er die 35-Stunden-Woche ein, ohne das die Arbeitslosigkeit und die Inflation anstiegen.

Abstecher in die Welt der Wissenschaft

Ursprünglich wollte Jospin nicht Präsident, sondern hoher Beamter werden und studierte ebenso wie Chirac an der französischen Kaderschmiede, der École Nationale de l'Administration (ENA). Er bekam einen Posten im Außenministerium, entschied sich nach einigen Jahren jedoch um und unterrichtete die folgenden elf Jahre als Dozent und später als Professor für Wirtschaft.

Die Beurlaubung von der Beamtenlaufbahn war kein völliger Rückzug aus der Politik. Gleich zu Anfang seiner Lehrtätigkeit trat Jospin in die Sozialistische Partei (PS) ein. In dieser Zeit wurde der Parteivorsitzende Francois Mitterand auf Jospin aufmerksam und begann ihn zu fördern. Als die Franzosen 1981 Mitterand zum Präsidenten wählten, wurde der Parteivorsitz frei und Jospin rückte an die Spitze der Partei.

Sag niemals nie

Jospin ging immer seinen eigenen Weg. Schon seine Mutter erzählt, wie er eigensinnig in ihrem Bauch gestrampelt habe. Sie wird sich später nicht gewundert haben, das die Förderung durch Mitterand für den Dickkopf Jospin nicht bedingungslose Treue bedeutete. Jospin kritisierte seinen Protegée dafür, dass Mitterand sich im Laufe seiner Amtszeit immer mehr über Gesetze hinwegsetzte.

Trotzdem lehnte er nicht ab, als Mitterand ihm Ende der achtziger Jahre anbot, Erziehungsminister zu werden. Nach vier Jahren hatte Mitterand dann aber doch genug vom ewigen Kritiker, und Jospin musste gehen. Ein Jahr später zog sich Jospin ganz aus der Politik zurück. Jedoch nicht für immer: Nach dem Motto "Sag niemals nie" bewarb sich Jospin 1995 als Präsident – und verlor.

Weder Charisma noch überzeugende Inhalte

In diesem Jahr rechnete wohl jeder damit, das Jospin in die zweite Wahlkampfrunde gewählt werden würde. Die Wahlkampfthemen Jospins haben jedoch wenig Wähler überzeugen können. So vertrauenswürdig Jospin als Person auch scheinen mag, viele Wähler fragen sich, warum er seine Ziele nicht in den vergangenen fünf Jahren während seiner Amtszeit als Ministerpräsident anging.

Zudem stellt er Innere Sicherheit ins Zentrum des Wahlkampfes. Ungünstigerweise bescheinigen Statistiken Jospin aber gerade auf diesem Gebiet keine großen Erfolge, denn in seiner Amtszeit stieg die Straffälligkeit um 16 Prozent. Das Thema Innere Sicherheit war die große Chance Le Pens.