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Literarischer Scherbensammler

Ariane Thomalla25. März 2002

Bora Cosic erhielt am 24. März im Rahmen der Leipziger Buchmesse den Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Cosic, geboren 1932 in Zagreb, gehört zur Avantgarde der jugoslawischen Literatur.

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Preisträger Bora CosicBild: AP

Bora Cosic gilt als einer der originellsten und produktivsten Autoren Ex-Jugoslawiens, der bereits über vierzig Bücher verfasst hat. Er hat l992 seinem Land den Rücken gekehrt, um gegen die Kriegspolitik und die Kriegsverbrechen des Milosovic-Regimes zu protestieren. Freiwillig. Niemand habe ihn und seine Frau verfolgt, telefonisch bedroht oder sonstwie diskriminiert, erzählt der Autor. Gerade umgekehrt sei es gewesen. Er und seine Frau hätten "schief" auf ihre serbischen Landsleute und das, was sie taten, geschaut.

Zunächst waren die Cosics in ihr Sommerhaus nach Rovinj im kroatischen Istrien gezogen. Heute leben sie in Berlin. "Ich habe mein Land verlassen, nicht mein Land mich", schreibt er. Seit vielen Jahren spricht er davon, dass es zu einer Katharsis kommen müsse. Man könne nicht alle bestrafen, die in Bosnien einen Eisschrank geklaut hätten. Soviele Gefängnisse gäbe es gar nicht. Aber diese Leute sollten sich ihrer Taten erinnern.

Kochbuch als schriftstellerische Keimzelle

Katharsis durch das Nato-Bombardement Serbiens? Dass Cosic nicht bereit war, dagegen zu sein, schuf ihm auch unter den deutschen Intellektuellen Feinde. Bora Cosic ist ein hochgebildeter Autor, der sich selber als "Scherbensammler" beurteilt. Ein konzeptueller Autor, der sich aller Materialien, die ihm das Leben bietet, bedient, auch und vor allem der eigenen Biographie. Papa, Mama, Opa, Onkel und die Tanten, die in hübschen Medaillons an der Wand der Berliner Wohnung hängen, bevölkern auch seine Bücher. Zum Beispiel seine Oma, die ihm das Schreiben beigebracht hat, kaum daß er den Griffel halten konnte. Ihr mit Reflexionen, Berichten, Beschreibungen angereichertes Kochbuch sei überhaupt der Ursprung seines Schreibens.

Material sind ihm auch die Werke großer Autoren wie Proust, Hamsun, Musil oder Freud. Und: Er bemächtigt sich sogar ihrer Biographien, die er weiterschreibt, übermalt, neu erfindet. 1969 erschien "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution", ein Long- und Bestseller in den kommunistischen Ländern, der aus dem Blickwinkel eines kleinen Jungen, seinem "alter ego" von einst, naiv unverstellt und dadurch witzig den verrückten Alltag einer heruntergekommenen Familie im Belgrad der deutschen Besatzungszeit und der kommunistischen Machtergreifung erzählt. Eine Geschichte voller Slapsticks, aber auch versteckter Traurigkeit. Cosics Texte handeln immer wieder von der Unverständlichkeit der Welt und ihren Absurditäten. Eine davon sei die Schriftstellerei.

Zollerklärung eines Lebens

"Meine Sichtweise auf die Welt", sagt er, "ist eine fröhlich-pessimistische. Da die Dinge sich allzu schrecklich ereignen, kann über sie nur in einer paradoxalen-komischen Weise gesprochen werden. Das wissen wir schon seit Shakespeare."

Zuletzt erschien das Buch "Die Zollerklärung" als Folge seiner Belgradreise nach zehn Jahren Abwesenheit, um dort endgültig die Wohnung aufzulösen. Ein Mensch, der sein Land für immer verlassen will, muss seine Bibliothek erklären. Buch für Buch, das er mitnehmen will. In kafkaesker phantastischer Steigerung wird daraus bei Cosic die Zollerklärung eines ganzen Lebens, die Summe eines Lebens, eine philosophisch-poetische Rückschau auf eine "condition humaine". Der wunderbare Text eines siebzigjährigen Wahlberliners, der von der literarischen Vergangenheit und der Gegenwart seiner Stadt fasziniert ist. Ein Schriftsteller im Exil, dem jedoch das Exil zum Glück wird, zur großen Erweiterung seines Lebens.