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Literarisches Entdeckungsland

Gabriela Schaaf

Litauen war Gastland der diesjährigen Buchmesse. 700 Jahre lang waren Deutsche und Litauer Nachbarn an der Ostsee, zu den berühmtesten Urlaubern zählte Thomas Mann. Doch die litauische Literatur ist gänzlich unbekannt.

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Litauen: Land zwischen den Zeiten

Nach abwechselnd deutscher und sowjetischer Besetzung in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ist Litauen seit 1990 wieder eine unabhängige Republik. Unbekannt ist die litauische Literatur mit ihrer überaus wechselvollen Geschichte.

Entwicklung mit politischen Hindernissen

Das erste litauische Buch - ein Katechismus - wurde schon am Ende des 16. Jahrhunderts gedruckt; doch Litauisch als Literatursprache gibt es erst seit den 1920er Jahren. Zeit für eine intensive Entwicklung blieb danach kaum, denn rund die Hälfte der Schriftsteller floh 1944 vor den Russen in den Westen: "Die wichtigsten Werke der Nachkriegszeit wurden in der Emigration geschrieben", so Marianna Butenschön in ihrem erschienen Länderporträt Litauen. Zurück blieben die regimetreuen "Moskau-Jungs" und auf der anderen Seite Autoren, Lyriker vor allem, die versuchten, ihre Kritik "zwischen den Zeilen" zu formulieren.

Neuer literarischer Frühling

Lenin Monument
Leben unter kommunistischer ZensurBild: AP

Erst mit der Aufhebung der Zensur 1989 und der nachfolgenden Unabhängigkeit begann neues literarisches Leben in Litauen - gerade auch für die bis dahin im Schatten der Lyrik stehende Prosa: Eine neue Autorengeneration betrat die literarische Bühne, die Exilliteratur kehrte in Übersetzungen zurück - zusammen mit Übersetzungen westlicher Literatur. Alte Manuskripte wurden aus der Schublade geholt.

So veröffentlichte der kürzlich gestorbene Ricardas Gavelis noch im Wendejahr 1989 "Wilnaer Poker", einen Roman, den er bereits zwei Jahre zuvor abgeschlossen hatte. Darin rechnet er nicht nur radikal mit dem sowjetischen System, sondern auch mit nationalen Mythen ab - was von manchen Lesern als skandalös empfunden wurde.

Die Entdeckung des Ichs

Wie überhaupt neue, bis dahin ungewohnte Themen - das eigene Ich, der eigene Körper - nicht allseits auf Zustimmung stießen. Denn Litauen sei ein sehr katholisches Land, so Ausrine Jonikaite, Koordinatorin des Litauen-Schwerpunkts für die Frankfurter Buchmesse. Aber: "Die jüngeren Autoren, die nach der Wende debütiert haben, gehen mit Tradition und Formen viel aufgeschlossener um. Unter anderem auch gegenüber ihrem eigenen Körper."

Buchcover: Ivanauskaite - Die Regenhexe
Ivanauskaite, Jurga: Die Regenhexe. Roman

Auch die 1961 geborene Jurga Ivanauskaite bekam durch ihren Roman "Die Regenhexe" gesellschaftliche Vorbehalte zu spüren. Das Werk wurde wegen angeblicher "Pornographie" verboten, die Autorin kehrte ihrem Land für einige Zeit den Rücken. Mittlerweile zählt Ivanauskaite zu den bedeutendsten Stimmen der litauischen Gegenwartsliteratur, zusammen mit Renata Serelyte und Jurgis Kuncinas, dessen gerade auf deutsch erschienener Roman "Mobile Röntgenstation" in das Litauen der 1960er Jahre zurückblendet. Alle drei gehören zu den rund 26 Autoren, die sich jetzt in Frankfurt dem deutschen Publikum präsentieren.

Aufbaubedarf in Litauen

Von einem professionellen Literaturbetrieb kann in Litauen indes noch nicht die Rede sein. Die Auflagen sind gering. Kaum einer der rund 300 registrierten Autoren kann bisher unter den Bedingungen der marktwirtschaftlichen Konkurrenz allein vom Schreiben leben. "Litauen", schreibt Marianna Butenschön in ihrem Porträt des baltischen Staates, "ist, wenn man so will, ein Land zwischen den Zeiten".

Und so kann man das Motto für die Frankfurter Buchmesse auch als Hoffnung für die Zukunft verstehen: "Fortsetzung folgt". (Bericht vom 9.10.2002)