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Literat im Sinne der Spitzhacke

Hussain Al-Mozany

Wie ist es für einen Schriftsteller, der mit einer anderen Sprache aufgewachsen ist, jetzt auf Deutsch zu schreiben? Erfahrungen von Hussain Al-Mozany, der 1954 im Irak geboren wurde und seit 1980 in Deutschland lebt.

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Der irakische Schriftsteller Hussain Al-MozanyBild: dpa

Es ist nicht einfach, die Sprache zu wechseln. Das gilt in erster Linie für einen Schriftsteller, der für und von der Sprache existiert. Nach meinen jahrzehntelangen Veröffentlichungen in arabischer Sprache, vor allem in den in London erscheinenden arabischen Tageszeitungen, gelangte ich zu der Erkenntnis, dass es tatsächlich wenig Sinn macht, weiterhin für das arabische Feuilleton zu veröffentlichen.

Denn dies bedeutete für mich auf die Dauer eine Art doppelte Entfremdung - in Deutschland als Fremder zu leben und für einen unsichtbaren arabischen Leser zu schreiben. Schließlich gewann ich den Eindruck, dass ich mehr oder weniger in der Lage wäre, gleich in deutscher Sprache zu schreiben und zwar für einen realen Leser. Darin sah ich auch einen Ausweg aus der selbstverschuldeten Anonymität.

Dieser Wandel stellte für mich eine Auseinandersetzung mit der modernen deutschen Sprache und Literatur dar. Inwiefern ich dabei erfolgreich bin, sei dahingestellt. Schreiben ist für mich nichts anderes als eine ästhetische Bearbeitung meiner Empfindungen und der technische Umgang mit den Möglichkeiten der deutschen Sprache. Bemerkenswert ist es allerdings, dass mir alles, was ich bisher auf Arabisch geschrieben habe, nicht anders erscheint, als eine Art Vorstufe, als Experiment, als Vorlage für mein neues deutsches Sprachdenken.

Sprache als Heimat

Die Muttersprache wurde der Fremdsprache geopfert - darin bestand meine einzige Rettung. Aber kann die Sprache eine Mutter haben? Eine Hüterin? Eine Nation? Kann man von dem mysteriösen typisch Deutschen sprechen? Liegt das Typische in der Sprache begründet? Keineswegs!

Ich bin Literat im Sinne der Neutralität, im Sinne der Heimatlosigkeit, dabei denke ich nicht mehr an die genealogische Verwandtschaft, sondern an die Zugehörigkeit zu einer enthausten, fast immer gefährdeten Spezies, das sind Rilke, Kafka, Musil, Joyce, Eliot, As-Sayyab und viele andere. Das ist die Weltfamilie, zu der ich gerne gehören möchte. Die Sprache ist der einzige und zugleich der wichtigste Reichtum, der niemandem gehört. Nicht Deutschland, sondern einzig die deutsche Sprache ist buchstäblich das Haus meines entwurzelten Daseins geworden.

Literatur schafft Freiräume

Ich bin wie die meisten Schriftsteller unserer Welt oft der Illusion erlegen, die Politik lenken oder beeinflussen zu können. Aber ich wurde immer wieder eines Besseren belehrt - dass die Politik im Grunde das absolute Gegenteil der Literatur ist. Während sich die Politiker dadurch auszeichnen, Grenzen zwischen Ländern und Nationen zu ziehen, bemüht sich der Literat, gerade diese Grenzen zu sprengen.

Ich bin Literat im Sinne der Spitzhacke, die die Hinterlassenschaft der Politik rücksichtslos zertrümmert. Ich will Freiräume schaffen, ich will Brücken schlagen, keine Barrieren, keine Verständnislosigkeit. Deshalb ist für mich die Geographie ein abstrakter Begriff. In der heutigen Zeit entscheidet nicht die Geographie darüber, wer Schriftsteller sein wird und wer nicht. Es entscheidet ausschließlich die bewusste Zugehörigkeit zu der weltweit verstreuten literarischen Familie.

In diesem Sinn will ich in den nächsten Jahren die Idee des deutsch-irakischen Orientexpresses, die "Bagdader Bahn", wieder beleben. Es sollen deutsche, arabische und europäische Kulturschaffende eine Reise von Berlin nach Bagdad über alle Grenzen hinweg antreten. Die Bedeutung der Literatur für Aufklärung und Völkerverständigung kann man nie genug würdigen, nie genug betonen.