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Lloyd Davis: Ende der Straflosigkeit muss erreicht werden

Birgit Maaß, ci10. Juni 2014

Auf einer Konferenz gegen sexuelle Gewalt in London diskutieren Politiker und Experten vier Tage lang. Die Regisseurin Fiona Lloyd Davis ist eine von ihnen. Sie spricht im DW-Gespräch über sexuelle Gewalt im Kongo.

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Filmmacherin Fiona Lloyd Davis
Bild: Fiona Lloyd Davis

DW: Wie real ist die Gefahr für Frauen und Mädchen, in der Demokratischen Republik Kongo vergewaltigt zu werden?

Fiona Lloyd Davis: Das Risiko ist sehr hoch. Das Land ist sehr schwer zugänglich. Viele Regionen sind weit entfernt von jeglicher staatlicher Infrastruktur. Ich denke, dass Frauen und Mädchen sogar damit rechnen, vergewaltigt zu werden. Es gibt im Kongo eine Art stille Akzeptanz. In ländlichen Gebieten ist das noch stärker. Dort, wo man weit laufen muss, um Wasser zu holen, sich um Pflanzen zu kümmern oder im Wald nach Cassaba zu graben. Die Täter könnten Milizen aus unterschiedlichen Gruppen sein, aber auch Soldaten der kongolesischen Armee. Mittlerweile gehört das in dieser Gesellschaft dazu - erschreckend für Frauen und Mädchen.

Wie reagiert das Umfeld nach einer Vergewaltigung?

Das gilt als große Schande. Ehemänner und Familien lehnen die Opfer oft ab. Wenn sie schwanger werden, sagten mir junge Frauen, fordern ihre Familien von ihnen, sich zu entscheiden: das Baby behalten oder zur Familie zurückkehren. Meist entscheiden sie sich dazu, das Baby zu behalten, obwohl sie oft schwierige Beziehungen zu dem Kind haben, vor allem wenn es ein Junge ist.

Die Konferenz zu sexueller Gewalt ist weit von den Opfern entfernt. Wie kann sie helfen?

Einer der wichtigsten Punkte dieses Gipfels ist die Frage, wie man das Ende der Straflosigkeit erreicht und wie man deutlich macht, dass dieses Verhalten nicht länger toleriert wird. Bis jetzt gab es nur sehr wenige Studien und die sind nicht sehr effektiv. Das Rechtssystem im Kongo ist sehr schwach. Es wurde lange Zeit vernachlässigt. Damit sich Frauen sicher fühlen, muss es erneuert und die Ordnung wieder hergestellt werden. Das kann auf einem sehr niedrigen Level passieren - die Beendigung der Straflosigkeit könnte dabei schon helfen.

Inwiefern ist das Rechtssystem schwach?

Bosko Ntaganda ist ein gutes Beispiel: Er war angeklagt wegen angeblicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Internationale Strafgerichtshof suchte ihn seit 2006. Noch 2011 war er verantwortlich für 50.000 kongolesische Soldaten. Er arbeitete für die Regierung, lebte und arbeitete offen, und ich sprach mit ihm 2011 eine Stunde lang in seinem Haus.

Wie genau können Fortschritte erreicht werden und wie können die Täter vor Gericht gestellt werden?

Es gibt enorme Herausforderungen. Aber es braucht vor allem auch internationalen Druck, damit die kongolesische Regierung ständig zur Rechenschaft gezogen wird. Auf der anderen Seite gibt es außergewöhnliche Netzwerke in der Zivilgesellschaft. Wegen der Fehler des Staates haben kongolesische Bürger seit vielen Jahren Fälle selbst aufgezeichnet. Es gibt eine Menge kleiner Organisationen, die Vergewaltigungen aufzeichnen. Wenn es einen umfassenden, universellen Fragebogen gäbe, könnten die Informationen, die sie bereits sammeln, als Beweismittel verwendet werden.

Wie läuft die Arbeit im Kleinen ab?

Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Ich habe vor kurzem einen Film über einen Vergewaltigungsprozess in einer Stadt namens Minova gemacht. Einer der Staatsanwälte ist eine Frau Mitte 30, Nadine, sie setzt sich für Gerechtigkeit für Vergewaltigungsopfer ein. Sie riskiert ihr Leben, wird bedroht. Sie hilft den Opfern, weil sie spürt, dass es nach Prozessende noch nicht vorbei ist. Dann stellt sich die Frage der Wiedergutmachung und wie man die Überlebenden unterstützen kann. Es gibt so viele engagierte Kongolesen. Man muss sie einfach besser unterstützen. Die internationale Gemeinschaft muss zuhören um herauszufinden, was die Menschen im Kongo bereits tun, anstatt ihnen ihre eigene Agenda aufzuerlegen.

Welche Hilfe ist im Moment möglich, wenn das Verbrechen erst einmal passiert ist?

Das kommt ganz darauf an wo es passiert ist: Einige Dörfer sind sehr weit von Gesundheitszentren entfernt. Oft werden Frauen tief in den Wald verschleppt. Um zu entkommen, müssen sie wochenlang durch den tiefen Wald, während sie vielleicht nicht wissen, wo sie sind. Dann sind sie vielleicht auch noch schwach und verletzt. In diesen Fällen ist es sehr schwierig, zeitnah Hilfe zu gewähren.

Aber es gibt auch einige gute Initiativen, in denen Gemeindevorsteher trainiert werden. Die Botschaft ist: Wenn Ihre Frau, Ihre Schwester oder Tochter vergewaltigt wurde, ist es nicht die Schuld der Frau. Sie muss innerhalb von 72 Stunden zu einem Gesundheitszentrum gehen um zu verhindern, sich mit HIV zu infizieren, andere sexuell übertragbaren Krankheiten zu bekommen oder schwanger zu werden. Dort wird sie auch weitere Hilfe bekommen, da sie sehr schwer verletzt sein könnte.

Wie würden Sie Ihre Rolle als Filmemacherin beschreiben?

Ich möchte den Menschen eine Stimme zu geben. Eine Chance, als dreidimensionale Menschen gesehen zu werden, nicht nur als Opfer. Ich hoffe, dass mein Film zeigt, dass es einige außergewöhnliche Frauen gibt, die so viel mitgemacht haben und dennoch über ihren Erfahrungen stehen. Ich möchte zeigen, dass sie bereits sehr viel tun, um ihr Leben wieder aufzubauen. Sie brauchen nur mehr Hilfe.

Fiona Lloyd Davis ist eine britische Regisseurin. Sie setzt sich filmisch mit Vergewaltigungen außeinander, oft im Kongo.

Das Gespräch führte Birgit Maaß.