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Lobbyschlacht um die Energiewende

Richard A. Fuchs, Berlin 30. Mai 2016

Deutschlands Politik ringt um eine Reform der Ökostromförderung. Die Regierung will Wind- und Sonnenstrom nur noch nach festen Quoten fördern. Energieintensive Unternehmen applaudieren, Umweltverbände sind entsetzt.

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Demonstration gegen die Energiewende-Reform der Bundesregierung (Foto: Bundesverband Erneuerbare Energien)
Warnminute gegen die EEG-Reform bei einem Unternehmen der WindbrancheBild: Bundesverband Erneuerbare Energien

Der Einigungsdruck ist groß, wenn Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer am Dienstag um einen Konsens bei der Ökostromreform ringen. Anfang Mai war das bereits gründlich schiefgegangen. Etliche Länderchefs stellten sich quer, als die Bundesregierung ihren großen Wurf zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) präsentierte.

Die Regierung plant, das bisherige Fördersystem umzustellen. Über fünfzehn Jahre erhielten Ökostromproduzenten in Deutschland garantierte und feste Vergütungen für jede Kilowattstunde Strom, die ihre Kraftwerke ins Netz einspeisten. Bezahlt wurde das von den privaten Stromkunden, die einen Ökostrom-Aufschlag zahlen, die sogenannte EEG-Umlage. Künftig sollen nur noch Wind- und Solarparks gebaut werden, die sich zuvor bei einer offiziellen Ausschreibung durchgesetzt haben. Damit will die Regierung die Ausbaumengen steuern und verhindern, dass die Kosten für die Förderung von Wind, Sonne und Biomasse weiter steigen.

Billigere Energie, weniger Ökostrom

Strom soll für die Verbraucher in Deutschland nicht mehr teurer werden - so lautet das Reformziel von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich, nicht zuletzt durch die EEG-Umlage, der Strompreis für Privatkunden verdoppelt. Deshalb will Gabriel den Ausbau drosseln - was zahlreiche Ministerpräsidenten gegen ihn aufbringt. Der Grund: Die einen fürchten um lukrative Jobs und Einnahmen durch die Windbranche in ihrer Region. Die anderen halten dies für einen klimapolitischen Amoklauf - wenige Wochen nach der Ratifizierung des Weltklimavertrags.

Die Energiewende soll planbarer und kostengünstiger werden: Sigmar Gabriel (Foto: BSW-Solar)
Will Kosten sparen: Wirtschaftsminister GabrielBild: BSW-Solar

Auch dass Gabriel eine Obergrenze für Ökostrom einziehen will, sorgt für Kritik. 2025 sollen demnach nicht mehr als 45 Prozent Ökostrom im deutschen Netz fließen. Ließe man dem Ausbau freien Lauf, könnten es 50 Prozent und mehr sein, schätzen Branchenverbände. Der Energie- und Wirtschaftsminister will statt mehr Windrädern jetzt vor allem neue Stromautobahnen bauen. Die sollen Überschussstrom von Nord nach Süd transportieren. Den Windkraftausbau will er bei weniger als 2500 Megawatt neuer Kraftwerksleistung pro Jahr begrenzen.

Robert Habeck, grüner Energiewende-Minister Schleswig-Holsteins, findet es "brandgefährlich", das Ausbautempo bei Wind und Sonne an das Tempo des Netzausbaus zu koppeln. "Wer die Energiewende doof findet, der muss nur den Netzausbau verhindern."

Neben Habeck mischen sich auch andere in die Lobbyschlacht um die Energiewende ein. Umweltverbände, die Ökostrombranche und die Oppositionsparteien im Bundestag verurteilen die Pläne scharf. Viele befürchten, dass bei den geplanten Ausschreibungen nur noch große Energiekonzerne zum Zuge kommen. Die verfügten - im Gegensatz zu Bürgerenergieprojekten - über Personal für derlei komplizierte Verfahren. Auch die strikte Obergrenze für den Ausbau der Windkraft lehnen sie ab.

Simone Peter, Vorsitzende der Bundesgrünen, spricht von einem "Energiewende-Verhinderungsprogramm". Es sei äußerst unklug, so Peter, die günstigste Form klimafreundlicher Stromerzeugung mit dieser Reform am stärksten zu beschneiden.

Energiewende 5 vor 12 Demonstration gegen die Energiewende-Reform der Bundesregierung (Foto: Bundesverband Erneuerbare Energien)
Bild: Bundesverband Erneuerbare Energien

Ökostromverbände: "Fünf vor zwölf"

Laustarke Proteste kommen auch von den Klimaschutzaktivisten bei Campact, Greenpeace und Oxfam. Sie demonstrierten beim jüngsten Gipfel vor dem Kanzleramt, überreichten Kanzlerin und Ministerpräsidenten zehn Aktenordner mit mehr als 200.000 Unterschriften. Die Botschaft: Merkel dürfe die Energiewende nicht absägen. Eine Darstellerin im Kostüm der Kanzlerin komplementierte das Bild, als sie mit Kettensäge in der Hand symbolisch ein Windrad zersägte.

Die Branchenverbände der Erneuerbaren machen jetzt ebenfalls mobil. Am 2. Juni soll es eine Großdemonstration am Berliner Hauptbahnhof geben. Zuletzt hielten 30.000 Mitarbeiter der Branche bei einer Warnminute inne. Um genau "5 vor 12" ruhte die Arbeit aus Protest. "Die Deckelung der Erneuerbaren setzt die falschen Signale", sagt Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE). Er fordert, den Ausbau nicht starr zu beschränken und auf Ausschreibungen für kleinere Wind- und Solarparks zu verzichten.

Ein gänzlich anderes Echo kommt naturgemäß von den Verbänden energieintensiver Unternehmen. Sie spekulieren, die Reform werde ihnen Kostensenkungen bescheren. "Nach fünfzehn Jahren einer marktfernen Förderung hält endlich das Wettbewerbsprinzip in die Energiewende Einzug", freut sich Utz Tillmann siegesgewiss. Tillmann ist Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und vertritt die Interessen von 1600 stromhungrigen Chemieunternehmen. Wiederholt forderten diese mehr Planungssicherheit bei der Preisentwicklung - und natürlich niedrigere Kosten.

Jedermann-Konto - auch für Flüchtlinge

Dass hier viel schwarzgemalt wird, zeigte jüngst eine Studie. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Ökoinstitut Freiburg untersuchten den Vorwurf, dass die Energiewende die Kosten für den Industriestandort hochtreibe. Das Fazit der Autoren: Deutsche Industriekunden mit stromintensiver Produktion zahlten inzwischen 20 Prozent weniger für Energie als vor fünf Jahren. Die Energiewende als Preistreiber lässt sich wissenschaftlich nicht nachweisen.

Windpark in Mecklenburg-Vorpommern (Foto: picture-alliance/dpa)
Ist die Windkraft der große Verlierer dieser Reform der Ökostromförderung?Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Kohleförderung als Nagelprobe

Im Energiewende-Labor Deutschland wird trotzdem weiter um Kosten, Klimaschutz und Kurskorrekturen gestritten. Besonders der Umgang mit dem Energieträger Kohle garantiert hitzige Debatten. Klimaschützer sehen in den bestehenden Braunkohlekraftwerken den Grund, warum die Energiewende die Stromkosten bislang nicht senkt. Fossiler Strom blockiere das Netz.

Die Bundesregierung, allen voran Wirtschaftsminister Gabriel, sehen das anders. Sie wollen nur sehr langsam von der klimaschädlichen Braunkohleverstromung Abstand nehmen. Wie schnell Ökostromkraftwerke in Deutschland den gesamten Strombedarf decken, hängt daher auch vom weiteren Umgang mit der Kohle ab. Deutschlands Beispiel dürfte hier international wegweisend sein.

Noch scheint, trotz aller Querelen um die Ökostrom-Reform, die Zustimmung für die Energiewende ungebrochen. In einer repräsentativen Umfrage von TNS-Emnid sprachen sich jüngst 85 Prozent der Befragten für mehr grüne Energie aus. Das macht den schleswig-holsteinischen Energiewende-Minister Robert Habeck letztlich zuversichtlich, dass am Dienstag im Kanzleramt eine Einigung gefunden wird. Die "Vernunft" setze sich durch. Bis es soweit ist, dürfte es aber spannend bleiben.