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"Lobet mir die Metzgerzunft!"

Anastassia Boutsko 30. April 2012

Die Fleischersänger von Köln haben Tradition. Seit 110 Jahren existiert der spezielle Männergesangsverein und singt selbstbewusst und laut gegen das große Sterben der Handwerkerchöre an.

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Fleischer-Sänger - Chor der Kölner Fleischer Zu sehen ist der Chor bzw. dessen Vorstand Co: Walter Heinen, Fleischer-Sänger e.V.
Fleischer-Sänger - Chor der Kölner FleischerBild: Walter Heinen

Ein alter Schlachthof in Köln-Ehrenfeld. Im Raum liegt ein betörender Duft von frisch Geräuchertem. Mit leerem Magen sollte man lieber nicht zur Probe des Vereins "Fleischersänger Köln von 1902" kommen. Am Synthesizer steht der Chorleiter und gestikuliert energisch.

"Meine Herren, ich hätte euch gerne gegönnt, was ihr da an Tönen bringt, aber ihr kennt mich: Ich halte mich an die Noten!", dröhnt der Kapellmeister. Schon bald wird klar: 30 singende Metzger sind nicht leicht zu bändigen. Hin und wieder gibt es einen deftigen Kommentar und ein kollektiver Lachanfall bricht sich Bahn. "Bei dem Haufen braucht man gute Nerven und ein gewisses Durchsetzungsvermögen", stellt Chorleiter Theo Balkhausen klar.

Freude am Singen

Mit seinen 60 Jahren ist der Chorleiter einer der jüngsten Männer im Raum. Die meisten sind seit vielen Jahrzehnten dabei, haben schon gute wie schlechte Zeiten durchgemacht. Das schweißt zusammen.

Fleischer-Sänger - Chor (Foto: Anastassia Boutsko)
Metzger bei der ProbeBild: DW

Die Tage, als jeder anständige Familienvater in mindestens einem Chorverein mitsang, sind längst vorbei. Bereits in den 50er Jahren setzte das große Sterben der Handwerkerchöre in Deutschland an. Nun gibt es in Köln nur noch zwei: die Metzger und die Bäcker.

"Früher gab es drei Fleischerchöre in der Stadt", erinnert sich Joseph Kling, der erste Tenor des Chors: "Rechtsrheinisch, linksrheinisch und die Großschlächter." Doch als die Mitglieder schwanden, schloss man sich zusammen. Joseph Kling ist 79 Jahre alt, 52 davon hat er als Metzger gearbeitet. Er singe, weil es ihm einfach furchtbar gut gefalle und gut tue, sagt er. Und er hat auch im hohen Alter noch eine wunderbare, helle Stimme.

Nix für Vegetarier

"Bei uns kann jeder zum Singen kommen, der männlich ist", gibt der Präsident des Chores Walter Heinen einen wohl oft geübten Spruch von sich. "Bedingung ist: Er muss Fleisch und Wurst essen und die in einem Fleischerfachgeschäft kaufen."

Drei Chormitglieder (Foto: Anastassia Boutsko)
Sie singen am liebsten rheinische LiederBild: DW

Mit dieser Einstellung hat es der Chor tatsächlich geschafft, nicht weiter zu schrumpfen - was bei der vorhandenen Altersstruktur keine Selbstverständlichkeit ist. Sechs Neuzugänge kann Walter Heinen stolz verzeichnen. Mit denen wird gerade das Metzgerlied eingeübt: "Jeder der noch hat Vernunft, lobe mir die Metzgerzunft: Denn der Braten in der Pfann, muss auch einen Ursprung han."

Weiter im Text geht es nicht gerade zimperlich: "Was nutzt schon das schönste Schwein, Hammel, Stier und Öchselein? Wenn sie noch am Leben sind, gibt's kein Fleisch, das weiß ein Kind." Es versteht sich von selbst, warum keine Vegetarier im Chor mitsingen dürfen.

Geselligkeit  wird großgeschrieben

Der Chor lege den Hauptakzent aufs Gesellige und nicht auf besondere musikalische Qualitäten, räsoniert der kritische Chorleiter. "Ich habe schon eine gewisse Zeit gebraucht, um das zu verstehen." Wobei es eigentlich ganz klar ist: Am liebsten mögen die Fleischer rheinisches Liedgut und Karnevalslieder, da sind sie unschlagbar. "Ich kann denen nicht mit Schubert kommen oder so. Da werde ich ausgelacht", sagt Theo Balkhausen. "Die haben früher nur einstimmig gesungen. Es war ein Drama, bis ich die bei vierstimmigen Sätzen hatte."

Das gefällt auch heute noch nicht jedem: "Ich finde es schwer: Man singt bekannte Lieder, die man 40, 50 oder 60 Jahre lang immer gleich gesungen hat. Und jetzt kommt der Chorleiter und macht einen Chorsatz darauf, und dann sollst du als zweiter Bass was vollkommen Verkehrtes singen", beschwert sich der wohlgenährte Jonny, ein erklärter Junggeselle. "Das gibt es nicht: Tenöre da oben, und du singst was ganz anderes – das ist schwer! Vor allem wir im zweiten Bass müssen immer gegen die Melodie ansingen."

Erbsensuppe als Lebenselixier

Mit Bässen ist die Metzgerzunft reichlich gesegnet. Bei der Bäcker-Konkurrenz, dem zweiten Handwerkerchor von Köln, sieht das wohl ganz anders aus. Dort habe man, so die Fleischer, lauter Tenöre und kaum Bässe: "Das Mehl macht da wohl was mit der Stimme."

Metzgerei-Lieferwagen (Foto: Anastassia Boutsko)
Vorfahren vor dem SchlachterhofBild: DW

Jahrzehntelang haben die Fleischer- und die Brotsänger einen Grabenkrieg geführt und sich erst neulich versöhnt: anlässlich der Einweihung eines Glockenspiels am Kölner Rathaus, das von der Handwerkskammer gespendet wurde. "Wir haben uns 1902 gegründet und die Bäcker erst 1912", kann Chorpräsident Walter Heinen trotzdem einen kleinen Seitenhieb nicht unterdrücken.

Fleischer-Sänger - Chor der Kölner Fleischer Zu sehen ist der Chor bzw. dessen Vorstand Co: Walter Heinen, Fleischer-Sänger e.V.
Fleischer-Sänger - Chor der Kölner FleischerBild: Walter Heinen

Aber er ist stolz darauf, dass Bäcker und Metzger nun einmal im Jahr zusammen kommen, um in einer Kölner Kirche gemeinsam eine kölsche Messe zu singen: "Das ist ein herrliches Erlebnis, wenn wir da mit 50 Leuten singen."

Die Probe ist vorbei, Tische werden zusammengerückt und aus dem Nichts kommt ein Topf "Erbsensuppe mit Inhalt", also mit fleischigen Zutaten auf den Tisch. Keine Probe ohne Suppe? So sieht es aus. Und dennoch: Warum hält eine Zunft so stark zusammen? "Ja, warum?", fragt sich Walter Heinen. "Weil wir alle kräftig arbeiten und uns gerne treffen und austauschen. Wir sind eben eine sehr lustige Runde!"