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Lost in Translation

Bernd Riegert26. September 2005

Die Europäische Union ist reich an Sprachen: Es gibt 20 Amtssprachen und 40 selbstständige Sprachen. Gefeiert wurde die Vielsprachigkeit am Montag (26.9.05), dem Europäischen Sprachentag.

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Jeder EU-Bürger hat das Grundrecht, von den europäischen Institutionen in seiner Muttersprache gehört und umsorgt zu werden. So legen es die europäischen Verträge fest.

Jeder Mitgliedsstaat wacht eifersüchtig darüber, dass seine Sprachgemeinschaft, sei sie auch noch so klein, nicht untergebuttert wird. So sind Maltesisch (200.000 Sprecher) und Deutsch (90 Millionen) gleichberechtigt. Über 4000 festangestellte Übersetzer und Dolmetscher sowie viele freie Mitarbeiter sorgen in den EU-Behörden dafür, dass Finnen Spanier verstehen und Esten wissen, was Zyprer wollen. Kostenpunkt: Rund eine Milliarde Euro pro Jahr.

Die EU-Verwaltung hat immer noch Schwierigkeiten, alle Texte rechtzeitig in ordentlicher Form in die kleinen Sprachen übersetzen zu lassen. Regelmäßig kommen Beschwerden aus Estland oder Malta.

Im kommenden Jahr wird Irisch als 21. Amtssprache eingeführt. Bislang hatten sich die Iren mit dem Status "Offizielle Sprache" zufrieden gegeben, der nicht die automatische Übersetzung aller Dokumente nach sich zieht. Jetzt müssen 29 zusätzliche Übersetzer eingestellt und 450 freie Mitarbeiter beschäftigt werden. 2007 kommen dann Bulgarisch und Rumänisch hinzu. Irgendwann Türkisch, Kroatisch, Bosnisch, Serbisch, Albanisch, Mazedonisch ...

Besorgt fragte die amerikanische Zeitschrift "National Geographic" ob die EU "Lost in Translation?" sei - also ob ihrer Vielfalt den Verstand verliere.

Die EU leistet sich einen eigenen Kommissar für Vielsprachigkeit. Ziel von Jan Figel ist es, möglichst vielen EU-Bürgern die großen Verkehrssprachen Englisch, Französisch, Deutsch beizubringen. Die EU fördert zum Beispiel bilingualen Schulunterricht und den Austausch von Sprachlehrern. Rund die Hälfte aller EU-Bürger gab in einer Befragung an, eine Fremdsprache zu sprechen. Englisch ist hier führend, gefolgt von Deutsch und Französisch. Die meisten Fremdsprachen beherrschen wegen ihrer kleinstaatlichen Sonderrolle die Luxemburger. Am sprachfaulsten sind die Briten. Die nächste Generation von Europäern wird polyglotter sein, denn 80 Prozent aller Schüler sprechen mindestens eine Fremdsprache.

Die Mitgliedsstaaten, besonders Spanien und Italien, wachen mit Argusaugen darüber, dass ihrer Sprachfamilien gefördert werden. Die Spanier unternehmen regelmäßig Vorstöße auch Regionalsprachen wie Baskisch oder Katalanisch in den offiziellen EU-Status zu befördern. Auch Luxemburg liebäugelt damit sein Letzebuergisch (eine Mischung aus Deutsch und Französisch) als EU-Sprache adeln zu lassen.

Die 20 anerkannten Sprachen, die nicht Amtsprache sind, aber in Wales (Welsh), Lappland (Sami), in der Bretagne (Breton) oder in der Lausitz (Sorbisch) gesprochen werden, werden von der EU-Kommission gefördert. Sie unterhält eigens ein "Büro für die weniger genutzen Sprachen EBLUL". Mit Fördermitteln der EU veröffentlicht zum Beispiel die Nischen-Nachrichtenagentur EUROLANG Berichte in Friaulisch, Ladin (Norditalien) und in Friesisch (Nordholland) oder auch Cornish (Großbritannien).

Sollten in kommenden Jahrzehnten dann noch die Balkanstaaten und die Türkei aufgenommen werden, könnte die Zahl der eigenständigen Sprachen noch einmal kräftig anwachsen. Armenier, Kurden, Kosovaren und viele andere Völkerstämme werden vermutlich auf sprachliche Eigenständigkeit pochen.

Die Kunstsprache "Esperanto" hat sich auch nicht als Lösung aus der babylonischen Sprachverwirrung erwiesen. Die 1887 entwickelte Sprache, die eine weltweite Verständigung ermöglichen sollte, wird heute nach Schätzungen nur von 4000 bis 20.000 Menschen tatsächlich fehlerfrei beherrscht.