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Glaube

Märtyrer gleich Fundamentalist?

1. Juli 2017

Märtyrer sterben für ihre Überzeugung: Jesuitenpater Eberhard von Gemmingen fragt sich in seinem Beitrag für die katholische Kirche, wie weit die Suche nach Kompromissen reichen darf.

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Sechs Märtyrer von El Salvador
Die sechs Märtyrer von El Salvador: Darstellung in der Kapelle der zentralamerikanischen Universität von San Salvador.Bild: M. Maier SJ

Heute wird viel von Fundamentalismus gesprochen. Muss ich mich selbst etwa fragen, ob ich Fundamentalist bin? Bin ich fundamentalistisch, weil ich meine religiöse Überzeugung für richtig halte und nicht in Frage stellen lasse? Heute würden Märtyrer, also Menschen, die für ihren Glauben sterben, vielleicht als Fundamentalisten bezeichnet. Waren sie es?

Ein Beispiel: Vor fast 30 Jahren sind in dem kleinen mittelamerikanischen Land El Salvador sechs Patres des Jesuitenordens brutal ermordet worden, weil sie die Militärdiktatur immer wieder kritisiert hatten. Sie wussten um die Lebensgefahr, haben nicht geschwiegen, sind nicht geflohen. Zwei ihrer Mitarbeiter mussten auch dran glauben und sterben. Die acht werden von vielen Katholiken verehrt. Viele wünschen ihre Seligsprechung.

Keine Kompromisse

Man darf fragen: Hätten diese gebildeten Theologen nicht auch Kompromisse schließen müssen? Hätten sie nicht den Dialog mit der korrupten Regierung suchen sollen? Waren sie stur? Zu fanatisch? Ist nicht Dialog, Gespräch miteinander der Schlüssel, um alle Streitfragen zu lösen? Darf es Positionen geben, die nicht hinterfragt werden dürfen? Fragen über Fragen!

Christliche Märtyrer sind für ihre Überzeugung gestorben. Sie haben keine Kompromisse geschlossen. Auch in anderen Religionen gibt es Märtyrer.

Ich glaube: Wir sind heute in Gefahr, allzu leicht Kompromisse zu schließen und feste Überzeugung über Bord zu werfen. Das ist auch verständlich, weil die Menschheit aus ihrer Geschichte gelernt hat, wie man Blutvergießen vermeidet. In früheren Jahrhunderten waren Menschen leichter davon überzeugt, dass ihre und nur ihre Ansicht richtig ist. Man war vielleicht in einer Art Pubertät, während die Menschheit heute im Erwachsenenzeitalter ist. Sie hat gelernt, dass man aufeinander zugehen, zuhören muss.

Aber es gibt auch die „Diktatur des Relativismus“. Der Ausdruck stammt von Papst Benedikt XVI. In dem Konklave, in dem Kardinal Ratzinger dann zum Papst gewählt wurde, sagte er wörtlich: „Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das Sich-„vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen“ als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine „Diktatur des Relativismus“, die nichts als endgültig anerkennt.“

Papst Benedikt wollte damit sage: Heute scheint es vielen verboten, an einer festen Überzeugung zu rütteln. Das Rütteln sei nicht nur dumm und ungebildet, sondern auch böse. Es diskriminiere die anderen, die nicht diese Überzeugung teilen. Korrekt und tolerant verhalte sich nur, wer die eigene Ansicht relativiere, sich innerlich von ihr distanziere.

Diktatur des Relativismus

Aber ich will auch die Gegenfrage stellen: Leben wir nicht davon, dass wir feste Überzeugungen haben? Leben wir nicht davon, dass wir etwa mit unserem Grundgesetz die Ansicht vertreten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“? Leben wir nicht auch von den Zehn Geboten: „Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht lügen“? Mit anderen Worten: Leben wir nicht davon, dass es den Respekt geben muss vor der Ehe des Anderen, vor der Wahrheit, vor dem Eigentum, vor dem eigenen Ja-Wort gegenüber meinem Ehepartner?

Ja – wir leben davon, dass wir uns aufeinander verlassen können, dass wir füreinander einstehen, dass wir einander im Notfall helfen. Heute wird vielfach Toleranz als oberstes Gebot gefordert. Toleranz wird missverstanden, wenn man damit meint: Alle Überzeugungen haben gleiches Recht. Das ist ein diabolischer Irrtum. Denn es gibt Positionen, für die zu sterben, man bereit sein sollte. Märtyrer sind nicht Fundamentalisten, sondern Bürger, die wir heute brauchen. Die Jesuiten in El Salvador waren solche Bürger.

Am 15.Juli befasse ich mich an dieser Stelle mit Japanern, die von Jesus Christus überzeugt waren und für ihren Glauben an Christus die allerschwersten Foltern auf sich nahmen. Sie starben aus Liebe zu Christus.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Bild: picture-alliance/dpa

Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.