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Machtwechsel bei den Piraten

Kay-Alexander Scholz28. April 2012

Die Piratenpartei hat einen neuen Vorsitzenden gewählt. Er ist ein Kenner des Politbetriebs in Berlin. Außerdem haben sich die Piraten klar gegen rechtsextremistische Tendenzen in ihren eigenen Reihen gestellt.

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Bernd Schlömer, neuer Vorsitzender der Piratenpartei (Foto: dapd)
Bild: dapd

Der neue Vorsitzende der deutschen Piratenpartei heißt Bernd Schlömer. Er erhielt auf dem Bundesparteitag in Neumünster in Schleswig-Holstein am Samstag (28.04.2012) 66,6 Prozent der Stimmen. Der bisherige Vorsitzende und intern nicht unumstrittene Sebastian Nerz wurde nur Zweiter und erhielt 56,2 Prozent. Die Wahl zum Bundesvorsitzenden war offen, weil sich jeder Pirat bis zuletzt bewerben konnte, der mindestens 20 Unterstützer per Unterschrift finden konnte. Beworben hatten sich schließlich fünf Männer und zwei Frauen.

Schlömer war bisher stellvertretender Parteivorsitzender und zuvor Schatzmeister - er kennt also die Arbeit des Bundesvorstandes. Seine politische Erfahrung reicht noch weiter, denn er arbeitet als Referent im Bundesverteidigungsministerium in Berlin. Bei seiner Kandidatenvorstellung wurde der 41-jährige Kriminologe und Sozialwirt auch gleich nach seiner Einstellung zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr befragt. Er werde sich der Meinung der Partei beugen, denn seine Privatmeinung zähle nicht. Schlömer will "Politik leichter verständlich machen, für jedermann offen sein und die programmatische Entwicklung beschreiben". Außerdem solle die Arbeit an eigenen Positionen die Partei einen und nicht trennen, sagte Schlömer.

Der unterlegene Sebastian Nerz wird dem Bundesvorstand jedoch erhalten bleiben. Bei der anschließenden Wahl des stellvertretenden Parteivorsitzenden erhielt er 73,8 Prozent der Stimmen. Als weiterer Stellvertreter wurde Markus Barenhoff aus Münster gewählt. Der zweite Stellvertreter wurde durch eine Satzungsänderung eingeführt, damit "die Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird", wie es in der Begründung hieß.

Mitglieder der Piratenpartei beim Bundesparteitag (Foto: dapd)
Piraten spielen mit ihrem KlischeeBild: dapd

Viele Emotionen

Am Samstagvormitttag (28.04.2012) hatte es zunächst einige Stunden gedauert, bis die Stimmung in der Holstenhalle in Neumünster so war, wie man es sich für den Parteitag einer erfolgreichen Partei vorstellt. Nach stundenlangem Hin- und Her zwischen Anträgen, Änderungsanträgen, Fragen und Einwürfen sagte einer der 1500 Teilnehmer: "Ich wollte einfach mal sagen, der Bundesvorstand hat eine super Arbeit gemacht!" Das Publikum fing an zu klatschen, wurde lauter, stand auf und johlte. Auf der Bühne standen die fünf Männer und zwei Frauen, die im vergangenen Jahr die Piratenpartei führten, streckten ihre Blumensträuße in Siegerpose in die Luft und freuten sich bis über beide Ohren. Parteiführung und Basis waren vereint.

Klare Abgrenzung nach rechts

Die Hochstimmung dauerte nicht lange. Da der Versammlungsleiter ziemlich auf die Tube drückte und dabei eher pragmatisch und weniger höflich vorging, machte sich Unmut breit bei manchen Teilnehmern. Spontan wurde ein Antrag auf Absetzung des Versammlungsleiters eingereicht, der aber keine Mehrheit bekam. So erging es vielen Anträgen, sie fanden keine Mehrheit. Gewollt sind sie trotzdem, denn Basisdemokratie gehört zu den Prinzipien der Piratenpartei.

Kurz darauf wurde der Parteitag plötzlich unterbrochen. Das Thema Rechtsradikalismus holte das Geschehen ein. Ein Kamerateam hatte ein selbst mitgebrachtes Playmobil-Piratenschiff abgefilmt, auf das rechte Parolen geklebt waren. In den Wochen zuvor hatte es immer wieder Streit um Äußerungen von einzelnen Piratenmitgliedern zum Nationalsozialismus gegeben. Die Parteitagsführung entschloss sich deshalb, die Tagesordnung zu ändern. Eine Rüge der Versammlungsleitung für den Fernsehsender wurde mit stehenden Ovationen von den Teilnehmern bejubelt. Danach wurde ein Antrag vorgezogen und einstimmig verabschiedet, der ganz klar die Position der Piratenpartei festzurrte. "Den Holocaust zu leugnen, widerspricht den Grundsätzen der Partei", heißt es in diesem Antrag. Der Saal bebte - ein starkes und gelungenes Signal an die Partei und die Medien.

Warum ist die Piratenpartei so erfolgreich?

Auch bei der Vorstellung der acht Kandidaten für den Bundesvorsitz der Partei distanzierten sich die Parteitagsbesucher von extremistischen Äußerungen. Als Dietmar Moews seine Drei-Minuten-Vorstellungsrede hielt, verließ die Hälfte des Publikums die Halle, während sie ihr "Nein"-Abstimmungsschild zeigten. Moews hatte in seinem Videopodcast über das "Weltjudentum" philosophiert und sich dabei antisemitisch geäußert. "Jeder hat hier zwar das Recht, sich zu äußern, aber man muss ja nicht zuhören", kommentierte ein Pirat im Publikum das Geschehen.

Die Piraten haben viel vor

"Wir haben schon Geschichte geschrieben", hatte die scheidende politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband, am Morgen zum Auftakt des Bundesparteitags gesagt. "Wir werden ernst genommen, die Schutzfrist ist vorbei, sie war kurz." Aber es sei auch normal, dass Neues erst einmal abgewertet werde, beruhigte die 24-Jährige die 1500 anwesenden Piraten.

Die scheidende Geschäftsführerin der Piratenpartei, Marina Weisband (Foto: dapd)
"Wir werden ernst genommen", gab die scheidende politische Geschäftsführerin, Marina Weisband, den Piraten mit auf den WegBild: dapd

Ihre Rede war kurz und knapp, dennoch gab sie ihrer Partei große Aufgaben mit auf den Weg. "Die Piraten machen der Gesellschaft ein Angebot", sagte Marina Weisband. "Wir können den Menschen mehr Freiheit und Verantwortung geben, auch weil wir auf Vernetzung setzen, weil das bessere Gedanken bringt." Die Gesellschaft werde sich grundlegend verändern, warnte Weisband und formulierte politische Handlungsfelder, die nicht zum Image einer Internet-Partei passen. Wie soll Sozialpolitik noch funktionieren, wenn die Arbeitswelt immer stärker automatisiert wird? Wie kann Familie neu gedacht werden? Was sollen Kinder in Zeiten von Wikipedia in der Schule noch lernen?

Die Piraten wollen anders sein, auch bei ihren Parteitagen. Deshalb kann jedes Mitglied daran teilnehmen - und nicht nur vorher gewählte Delegierte wie bei den etablierten Parteien. Das stehe für ein "lebendiges Leben durch Interaktion der verschiedenen Charaktere", sagte Weisband.

"Lebendiger Charakter"

Doch so verschieden scheinen die Charaktere - zumindest oberflächlich betrachtet - gar nicht zu sein, wenn man in die Reihen schaut. Männer, gerne schwarz oder mit der Parteifarbe orange gekleidet, sitzen vor ihren Laptops. Viele sind recht rundlich um die Hüften. T-Shirts und Kapuzenpullis überwiegen, gern mit Pferdeschwanz getragen. Auffallend anders sehen die bekannten Gesichter der Piraten aus. Marina Weisband trägt einen Spitzenrock und ein Jacket. Martin Delius und Christopher Lauer, beide Mitglieder des Berliner Landesparlaments, tragen sportliche dunkle Anzüge. Frauen gibt es weiterhin nur wenige, dafür erstaunlich viele Männer jenseits der 50, die wohl schon einige politische Erfahrung in ihrem Leben gesammelt haben.

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