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"Vorteile überwiegen Nachteile"

Gabriel Dominguez3. Oktober 2014

Die meisten Südkoreaner sind für die Wiedervereinigung ihres Landes, fürchten aber die Kosten. Dabei übersehen sie die langfristigen ökonomischen und politischen Vorteile, meint Berlins Botschafter in Seoul, Rolf Mafael.

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Rolf Mafael Botschafter in Seoul
Bild: picture-alliance/dpa/Jörg Carstensen

Deutsche Welle: Inwieweit ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel vergleichbar mit der in Deutschland von 1989? Wo sind die größten Unterschiede, wo die größten Gemeinsamkeiten?

Rolf Mafael: Es gibt Gemeinsamkeiten, etwa hinsichtlich der Teilungserfahrung als solcher sowie teilweise mit Blick auf die historisch-ideologischen Rahmenbedingungen, die im Kontext des Kalten Krieges zur Teilung geführt haben. Aber es gibt auch bedeutsame Unterschiede: West- und Ostdeutschland haben nie gegeneinander Krieg geführt, Kontakte und Austausch zwischen den Bevölkerungen konnten stattfinden, waren deshalb viel stärker und haben sich über Jahrzehnte hinweg etabliert.

Zudem war der Einfluss der ehemaligen Sowjetunion als äußerer Faktor auf die DDR-Politik enorm und in den letzten Tagen - Stichworte Gewaltverzicht, Aufgabe der Breschnew-Doktrin, Nicht-Einmischung - entscheidend für den Lauf der Entwicklungen, die zum Fall der Mauer führten. Die Situation auf der koreanischen Halbinsel heute ist eher mit der Situation in Deutschland in den frühen 1960er Jahren während der Verschärfung des Ost-West-Konflikts vergleichbar als mit der im Jahr 1989.

In welchen Punkten kann sich Südkorea an Deutschland orientieren?

Die deutsche Ostpolitik hat entscheidend zu einer Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland beigetragen, insbesondere auch auf gesellschaftlicher Ebene. Dadurch wurden letztlich die Voraussetzungen geschaffen, die eine friedliche Wiedervereinigung mit Zustimmung aller Nachbarstaaten erst ermöglicht haben. Auch im Kontext der koreanischen Halbinsel ist die Schaffung einer solchen Vertrauensbasis von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung der politischen Gesamtsituation.

Welche Bedenken gibt es in Südkorea vor einer möglichen Wiedervereinigung?

Eine der größten Sorgen sind die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen, die mit einer möglichen Wiedervereinigung verbunden sein dürften. Viele Menschen befürchten negative Auswirkungen auf den Lebensstandard der südkoreanischen Bevölkerung. Dabei werden die wirtschaftlichen und politischen Vorteile, die mittel- und langfristig bei Weitem überwiegen dürften, häufig übersehen: Der Lebensstandard auf der koreanischen Halbinsel wird insbesondere im Norden ansteigen und die wirtschaftlichen Potentiale eines wiedervereinigten Koreas - mit einem Markt von dann 75 Millionen Menschen und komplementären Wirtschaftsfaktoren - die anfänglichen Kosten deutlich übersteigen.

Hinzu kommt eine potentiell enorm hohe Friedensdividende sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht. Denken Sie allein an die möglichen Einsparungen bei den Militärausgaben.

Wie präsent erleben sie das Thema Wiedervereinigung in der südkoreanischen Gesellschaft?

Spätestens seit Präsidentin Park bei ihrer Rede in Dresden im März 2014 das Thema Wiedervereinigung aufgenommen hat und Vorschläge für die Überwindung der Teilung Koreas machte, wird darüber auch in der breiteren Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert.

Dabei ist festzustellen, dass bei der jüngeren Generationen das Interesse an dem Thema weniger stark ausgeprägt und anders gelagert ist als bei älteren Generationen, deren eigene Lebenserfahrung sich unmittelbar mit der Teilung des Landes überschneidet. Bei den Jüngeren bestimmt häufig die Sorge um mögliche wirtschaftliche Belastungen die Diskussion.

Welchen Beitrag kann Deutschland konkret auf dem möglichen Weg hin zu einer koreanischen Wiedervereinigung leisten?

Deutschland kann insbesondere dadurch einen Beitrag leisten, dass es seine Erfahrungen zu den vielzähligen Aspekten der eigenen Wiedervereinigungsgeschichte teilt und als Ansprechpartner zur Verfügung steht.

So gibt es seit 2010 das deutsch-koreanische Konsultationsgremium zu Vereinigungsfragen; eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen dem koreanischen Vereinigungsministerium und aktuell dem Bundeswirtschaftsministerium, früher mit dem Bundesinnenministerium. Dieses hochrangig besetzte Gremium tagte bislang vier Mal und hat sich u.a. zu den Themenbereichen der deutschen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, zur Vereinigung der NVA mit der Bundeswehr, zu Privatisierungen, dem Umgang mit dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR sowie zur Regelung bei Ansprüchen von Alteigentümern ausgetauscht.

Am 18. September haben Deutschland und Korea die Einrichtung eines weiteren bilateralen Expertengremiums beschlossen, welches sich speziell mit den außenpolitischen Aspekten der Wiedervereinigungsthematik befassen wird. Wir hier an der deutschen Botschaft sowie die politischen Stiftungen stehen zudem in einem intensiven und regelmäßigen Austausch zu der Thematik mit einer Reihe von politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Südkorea.