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Die Meeres-Mafia

André Sarin22. Dezember 2008

Totenkopfflagge, Kanonen und Säbelrasseln, das ist Piraterie aus einer längst vergangenen Zeit, heroisiert und durch so manchen Hollywood-Kassenschlager in Szene gesetzt. Heute macht die moderne Piraterie Schlagzeilen.

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Indonesische Piraten (Foto: AP)
Piraten - die Plage der WeltmeereBild: AP

Das Thema "Seeräuber" verfolgt die Menschen, seit Schiffe die Meere kreuzen und wird es auch weiter tun. Moderne Piraterie mit all ihren Gesichtern ist im Zeitalter der Globalisierung mehr als ein bloßes Randphänomen. Eingebettet in das weltweit organisierte Verbrechen ist sie die größte Bedrohung für Leib und Leben auf unseren Weltmeeren.

Die Piraterie ist so alt wie die Schifffahrt selbst. Galt sie in der griechischen Mythologie noch, wie die Jagd oder der Fischfang, als Handwerk, entwickelte sich die Seeräuberei bereits in Zeiten der Römer zu einer Plage, die den Handel im Mittelmeer bedrohte.

Früher legal, heute kriminell

Gemälde von Augustus Baird, auf dem ein Piratenüberfall dargestellt ist (Foto: AP)
Seeräuber gab es zu allen Zeiten (Gemälde von Augustus Baird)Bild: AP

Zur besonderen Blüte reifte die Piraterie im Zeitalter der Entdecker und Eroberer. Der Seehandel auf den Weltmeeren blühte und Piraten witterten fette Beute. Dabei handelten sie nicht nur im eigenen Auftrag. Oft legalisierten europäische Großmächte solche Beutezüge, einerseits um sich ihren Anteil an den Reichtümern der Neuen Welt zu sichern und andererseits, um ihre eigenen Schiffe vor Übergriffen zu schützen.

Nachdem 1856 mit der Pariser Seerechtsdeklaration die staatlich autorisierte Kaperei endgültig abgeschafft wurde, verlor die Piraterie ihre offizielle Legitimation. Überlebt hat sie als kriminelle Erscheinung jedoch bis heute.

Modernste Technik

Und während die Piraten früherer Tage auf großen Segelschiffen und bewaffnet mit Säbel und Kanone auf Beutezug gingen, sind sie heute mit Schnellbooten und modernsten Waffen auf der Suche nach ihren Opfern. Selbst Hubschrauber stehen manchen Banden zur Verfügung.

Nur mit der neuesten Technik konnten die Seeräuber etwa kürzlich den Supertanker "Sirius Star" vor der Küste Somalias in ihre Gewalt bringen, meint Michael Stehr, Experte für Piraterie und Terrorismus auf den Weltmeeren. Die Piraten seien mit einem Trawler als Mutterschiff unterwegs gewesen, der ein so genanntes AIS (Automatic Identification System) an Bord gehabt habe. Dabei handelt es sich um ein mittlerweile vorgeschriebenes System, das in der Lage ist, auf einem Radarschirm anzuzeigen, welche Schiffe sich in der Umgebung befinden. Ein System, das eigentlich zur Vermeidung von Kollisionen und für mehr Verkehrssicherheit gut sein soll, werde in der Hand der Piraten zu einem kontraproduktiven Instrument, so Stehr.

Schäden in Milliardenhöhe

Marinesoldaten beim Kampf gegen Piraten im Golf von Aden (Foto: dpa)
Marinesoldaten im Einsatz gegen Piraten im Golf von AdenBild: picture alliance/dpa/Carsten Heyng/Marine

Doch Beuteschiffe sind nur ein Feld der modernen Piraterie. Längst beschränkt sie sich nicht mehr nur auf Überfälle oder Plünderungen. Menschenraub und Schmuggel gehören mittlerweile genauso dazu wie Versicherungsbetrug oder illegaler Fischfang. Oft wird das Seeräubertum durch das organisierte Verbrechen gefördert, sei es aus Amsterdam oder aus Hong Kong. Dadurch bekommt die Piraterie eine ungewollte globale Eigendynamik, die immensen Schaden verursacht.

Experten gehen davon aus, dass Piraterie und Organisierte Kriminalität auf See jährlich einen Schaden von mehr als 16 Milliarden Dollar anrichtet. Zwischenfälle wie die Versenkung der "Salem" 1980, bei der allein ein wirtschaftlicher Schaden von rund 45 Millionen Dollar entstand ist, sind zwar spektakulär, wenn sie an die Öffentlichkeit geraten, aber bei weitem kein Einzelfall.

Internationale Ohnmacht

Einen traurigen Höhepunkt erreichte die moderne Piraterie im Golf von Thailand. Mitte der 80er flohen Tausende von Vietnamesen aus einem verwüsteten Land über das Meer in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Vor der Küste Thailands gerieten sie oft in die Hände von Piraten. Frauen wurden verschleppt, wiederholt und über mehrere Tage vergewaltigt und anschließend an Sklavenhändler weiterverkauft. Männer wurden zum Sterben einfach in die See geworfen oder auf bestialische Weise gefoltert und dann umgebracht.

Die Weltgemeinschaft war entsetzt, doch waren auch ihr die Hände gebunden. Zwar verpflichtet das Seerechtsübereinkommen seit 1982 alle Staaten zur größtmöglichen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Piraterie, doch das gilt bis heute nur für internationale Gewässer.

Kooperation hilft

Geduldet sowohl durch die thailändische als auch die indonesische Regierung entwickelte sich so in Südostasien eine rege Piratentätigkeit, die sich vor allem in der Straße von Malacca, dem Nadelöhr der Seeschifffahrt in der Region, konzentrierte. Noch Anfang 2000 galten diese Gewässer als die gefährlichsten der Welt. Überfälle waren an der Tagesordnung. Unzählige Schiffe blieben bis heute verschwunden. Hunderte Seefahrer ließen ihr Leben.

Soldat mit Waffe auf einem Schiff
Jagd auf Piraten in der MalaccastraßeBild: AP

Die Situation habe sich dank der Zusammenarbeit der Anrainerstaaten verbessert, berichtet Captain Pottengal Mukundan, Direktor des International Maritime Bureau, einer Nichtregierungsorganisation, die Fälle von Piraterie dokumentiert und den Reedereien zur Verfügung stellt. Noch bis vor fünf Jahren sei die Malaccastraße ein Problem gewesen. Die Angriffe dort seien seitdem aber stark zurückgegangen und heutzutage gebe es nur noch wenige Attacken, von denen viele gar keinen Erfolg hätten.

Den Hauptgrund, warum die Angriffe in der Malaccastraße zurückgegangen sind, sieht Mukundan darin, dass die drei Anrainerstaaten, Malaysia, Indonesien und Singapur, sich dazu entschlossen haben, gemeinsam gegen die Piraterie vorzugehen. Alle drei hätten ihren Strafverfolgungsbehörden die nötigen Mittel gegeben, um mit dem Problem fertig zu werden. "Sowie die Staaten der Piratenbekämpfung Priorität eingeräumt haben und die Strafverfolgungsbehörden tätig wurden, ging die Anzahl der Straftaten zurück. Das hat nicht nur in der Malaccastraße funktioniert, sonder auch an anderen Krisenherden", erklärt der Captain.

Neue Konzepte

Als Vorbild für die aktuellen Krisenherde der Piraterie greift dieses Lösungsmodell allerdings nicht. Weder an der Südwestküste Afrikas, wo die nationalen Ressourcen der Küstenländer nicht ausreichen um Sicherheit für die Schifffahrt zu garantieren, noch am Horn von Afrika, wo mit dem „failed state" (gescheiterter Staat) Somalia eine Brutstätte der Piraterie den freien Zugang zum Suezkanal bedroht.

Hier sind andere Konzepte gefragt. Hier ist die internationale Gemeinschaft gefordert, Ordnung und Sicherheit wiederherzustellen. Und das nicht nur in den internationalen Gewässern, sondern auch direkt vor der somalischen Küste, wenn es sein muss sogar bis in die Häfen.

Fatale Unentschlossenheit

Die UN-Resolution 1816 gibt zwar seit Juni 2008 dazu die rechtliche Grundlage, doch getan hat sich bislang wenig. Viele Länder, darunter auch Deutschland, zeigen sich trotz der gefährlichen Lage betont unentschlossen. Diese Unentschlossenheit wirkt sich natürlich auch auf die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Piraten aus - und das trotz der dringenden Notwendigkeit von Sicherheit auf See.

Immerhin werden 95 Prozent des weltweiten Güterferntransportes über den Seeweg abgewickelt. Das sind 6,98 Milliarden Tonnen, verteilt auf über 40.000 Schiffe, die jährlich die Weltmeere queren. Und da stellt sich die Frage, wann die Weltgemeinschaft der organisierten Piraterie endlich einen Schuss vor den Bug setzt.

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