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"Gewaltverzicht kann Syrien retten"

Kersten Knipp20. September 2012

Eine ausländische Invasion würde Syrien zerstören, warnt Haytham Manna im DW-Interview. Der Sprecher des "Nationalen Komitees für den demokratischen Wandel" wirbt für Debatten.

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Haytham Manna, Sprecher des "Nationalen Komitees für den Demokratischen Wandel", 8.3. 2012 (Foto: AP/dapd)
Haytham MannaBild: dapd

Deutsche Welle: Herr Manna, Ihre Organisation, das "Nationale Koordinierungskomitee für den Demokratischen Wandel" (NCC) hat zu einer gemeinsamen Konferenz ausländischer und inländischer Oppositioneller nach Damaskus eingeladen. Sie sind Sprecher des NCC und leben in Paris. Was versprechen Sie sich von der Konferenz?

Haytham Manna: Das Nationale Komitee für den Demokratischen Wandel und andere Gruppen der Opposition innerhalb Syriens haben Kontakt mit uns, den Oppositionellen außerhalb Syriens, aufgenommen. Ziel ist es, den politischen Diskurs wieder in Gang zu bringen sowie eine demokratische und zivile Kraft zu schaffen und der Gewalt im Land entgegenzutreten - einer Gewalt, die bereits zweieinhalb Millionen Syrer zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht hat. Es geht darum, einen politischen Prozess in Gang zu setzen und zwar gegen alle jene, die - auf welcher Seite auch immer - an die Möglichkeit eines militärischen Sieges glauben.

Einen militärischen Sieg wird es aber für keine Seite geben. Beide Seiten werden verlieren: diejenigen, die an den Fortbestand der Diktatur glauben. Aber auch jene, die das Land unter die Herrschaft des Islamismus zu treiben versuchen. Eben das strebt eine ganze Reihe von Kämpfern an, und zwar mit Unterstützung einiger ausländischer Staaten.

Sie sprechen von einem politischen Diskurs. Aber lässt sich daran in einer Zeit absoluter Gewalt denn ernsthaft denken?

Durchaus. Auf Seiten derer, die auf Gewalt setzen, sind zwar nur die wenigsten bereit, über Alternativen nachzudenken. Doch es wächst die Zahl jener, die für andere Wege sind. Zuerst galten wir mit dem Vorschlag des Gewaltverzichts als Utopisten. Aber nun erkennen immer mehr Menschen, dass genau dies das Land retten kann. Denn wenn die Gewalt fortbesteht, geraten wir in eine politischen und militärische Situation, in der Menschen bewusst in Unwissenheit gehalten werden und eigenständiges Denken verhindert wird.

"Es darf nicht sein, dass in Syrien nun ein islamistischer Staat entsteht"

Werte wie Demokratie, Würde, Bürgersinn kämen dann unter die Räder. Seit Ausbruch der Revolution sind rund 25.000 Menschen gestorben. Schon darum darf es nicht sein, dass in Syrien nun ein islamistischer Staat entsteht. Und ebenso wenig darf es sein, dass die Diktatur fortbesteht. Denn die Menschen sind gestorben, weil sie Veränderungen wollten. Doch diese Veränderungen werden solange nicht möglich sein, wie die Gewalt anhält und der politische Diskurs an den Rand gedrängt wird.

Sie haben es erwähnt: Der Krieg in Syrien verschärft sich auch ideologisch. Offenbar nehmen die Auseinandersetzungen immer stärker auch einen konfessionellen Charakter an. Wie sehen sie diese Gefahr?

Das Regime hat seit jeher auch auf die Karte des Konfessionalismus gesetzt, und das tut es auch jetzt. Aber Teile der Opposition haben das ebenfalls getan. So haben etwa die Muslimbrüder zu Beginn der Kämpfe gesagt, es gebe drei Möglichkeiten für den Umgang mit den Aleviten: Entweder man schickt sie ins Exil. Oder man tötet sie. Oder sie konvertieren. Allerdings hat die syrische Gesellschaft solche Vorschläge mit großer Mehrheit zurückgewiesen.

Hinzu kommt der Umstand, dass auch ausländische Kräfte versuchen, dem Kampf eine konfessionelle Note zu geben. Saudi-Arabien, Katar und die Türkei spielen in dieser Hinsicht eine große Rolle. Sie wollen eine sunnitische Achse als Gegensatz zu einer schiitischen Achse. Ihr Kalkül ist einfach: Man besiegt den Iran, indem man den Hass auf die Aleviten und die Schiiten schürt.

Und was hieße das für Syrien?

Es liefe auf die Zerstörung der syrischen Gesellschaft hinaus. Und das ist der Grund, weshalb wir diese Logik nicht akzeptieren können. Wir wollen keinen konfessionellen Krieg. Und alle, die diesen anstreben, betrachten wir als Feinde der syrischen Gesellschaft. Wohlgemerkt: Diese Leute sind zwar Feinde des syrischen Regimes. Aber ebenso sind sie auch Feinde der offenen syrischen Gesellschaft. Indem sie den Konfessionalismus anheizen, erweisen sie auch dem syrischen Regime einen Gefallen. Denn sie gehen auf dessen Taktik ein.

Das ist offenbar auch der Grund, weshalb sich das Nationale Koordinierungskomitee, das Sie ja vertreten, gegen eine ausländische Invasion ausspricht?

Ja. Um zu verstehen, wie widersinnig der Konfessionalismus ist, reicht ein Blick in die syrische Geschichte. Als moderner Nationalstaat entstand Syrien nach der großen Revolution von 1925. Damals erhoben sich alle ethnischen und religiösen Gruppen gemeinsam gegen die von Frankreich geplante Zerstückelung des damaligen Königreichs. Ihr Motto lautete: "Die Religion für Gott. Und das Vaterland für alle."

Seitdem gibt es das Prinzip der Trennung von Staat und Religion. Auch die Gründer der syrischen Muslimbrüder hatten sich dieses Prinzip zunächst zu eigen gemacht. Ihre Nachfolger hingegen haben es aufgehoben und Staat und Religion wieder miteinander verbunden. Doch sie blieben in der syrischen Gesellschaft eine Minderheit. Jetzt, angesichts der Wahlerfolge der ägyptischen Muslimbrüder und der tunesischern Nahda, hoffen sie, auch in Syrien die Macht zu ergreifen. Doch das dürfte schwierig werden.

"Syrien ist ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat"

Syrien ist ein multiethnischer und multikonfessioneller Staat, in dem solche Absichten einen schweren Stand haben. Schwierig wird es aber, dieses Projekt gegen die ausländischen Kämpfer zu verteidigen, insbesondere jene aus den Golfstaaten. Aus diesem Grund sind wir gegen jegliche Präsenz ausländischer Truppen auf syrischem Boden. Gegen den Konfessionalismus stellen wir die Idee eines demokratischen, laizistischen Staates - eines Staates, der nach dem Prinzip einer modernen Zivilgesellschaft alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen anerkennt.

Haytham Manna ist Oppositioneller und Sprecher des "Nationalen Koordinierungskomitees für den Demokratischen Wandel" (NCC). Nach zwei Jahren im Untergrund verließ er Syrien 1978 und lebt seitdem in Frankreich.