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Marrakesch: Magie, Mythos, Kunst

15. Dezember 2010

Der Djemaa El Fna: Hier muss jede Reise nach Marrakesch anfangen. Der Platz der Gehenkten, wo man früher die Köpfe getöteter Sträflinge auszustellen pflegte, ist heute zum Besuchermagneten geworden.

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Djemaa El Fna (Foto: picture alliance)
Blick auf Djemaa El FnaBild: picture-alliance/Bildagentur Huber

Niemand hat diesen Ort besser beschrieben als der Schriftsteller Elias Canetti. Der Djemma El Fna ist ein einziger Reiz der Sinne. Ein perfekt inszeniertes Gesamtkunstwerk, mit Berberaffen und tanzenden Kobras, mit Gauklern, Gewürzhändlern, Wahrsagern und Märchenerzählern. "Das ist lebendiges Theater! Wie im Alten Rom, wo Plätze Orte der Unterhaltung waren, wo es noch Gladiatoren gab", sagt Jamal Saadi, Präsident des Fremdenverkehrsverbands. Heute sei der Djemaa El Fna ein UNESCO-Weltkulturerbe, und es gelte, diesen Reichtum des Platzes zu bewahren.

Geheimnisvolle Stadt

Marrakesch ist ein Spektakel von einer Stadt, das in diesem Jahr mehr als dreieinhalb Millionen Besucher sehen wollten. In zehn Jahren sollen es fünf Millionen sein. Früher waren es die Hippies auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, heute sind es die vielen Touristen aus aller Welt: Sie wohnen in Luxushotels wie dem Mamounia, oder in den Riads, den zu Gasthäusern umgebauten Stadtpalästen der Medina, der Altstadt. In den Souks feilschen sie um Ledersandalen, Taschen, Teppiche oder Tongefäße was das Zeug hält. Die Medina platzt vor traditionellem marokkanischem Kunsthandwerk. Doch im Labyrinth der engen Gassen liegen noch ganz andere Schätze versteckt. Zum Beispiel die Medersa Ben Yousef, die einzigartige Koranschule aus dem 14. Jahrhundert, mit ihren kostbaren Schnitzereien und Mosaiken.

Medina (Foto: picture alliance)
Rund um die Medina könnte das Leben nicht schillernder sein. Viele Besucher sind so bezaubert von der Vielfalt der Stadt ...Bild: picture alliance/Uwe S. Meschede

Das Haus der Photographie, eine Sammlung von seltenen Aufnahmen der Berberkultur, oder das Atelier des Malers Hans Werner Geerdts, einem Schüler des großen Willi Baumeister. Er kam vor fast vierzig Jahren aus Norddeutschland nach Marrakesch – und ist geblieben: "Es ist das Licht, das krieg ich nicht in Kiel. Hier sind die Sinne gefordert und dieser Platz hier ist einmalig in der ganzen Welt." Noch immer lässt der Djemma El Fna Geerdts nicht los. Er versucht, das Treiben auf dem Platz auf Leinwand zu bannen. Mit feinen Federstrichen skizziert er die Menschen, das Gewusel, die Halkas, die Kreise, die sich um die Tänzer und Geschichtenerzähler bilden. Geerdts nennt seinen Stil "Foulisme", vom französischen La Foule, die Menge. Überall in der Medina werden seine Werke kopiert.

Medina (Foto: AP)
... dass sie immer wieder kommen, oder aber auch für immer bleiben - wie der Maler Hans Werner GeerdtsBild: AP

Florierende Kunstszene

Von der Medina, dem Kern des orientalischen, des traditionellen Marrakesch, sind es nur wenige Schritte in die Moderne. Auch die Avantgarde ist mittlerweile in Marrakesch zu Hause, auf der anderen Seite der Stadtmauern, in den Galerien und den Edelhotels wie dem Mamounia oder dem Es Saadi. Hier will Marrakesch zur Attraktion der internationalen Kunstszene werden, an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Vor wenigen Wochen kamen tausende Besucher allein zur Eröffnung der ersten Marrakech Art Fair, der ersten marokkanischen Messe für zeitgenössische Kunst aus dem arabischen Raum, Afrika und dem Rest der Welt. Leinwand traf auf Skulptur, Video-Art auf Fotokunst. "Wir wollten Grenzen überschreiten, und wir wollten die Leute überraschen", sagt der Galerist und Veranstalter Hicham Daoudi. Marrakesch habe dieses rosige Image als Stadt der Schönheit, der Verzückung, des Reichtums, doch genau dieses Image solle geändert werden, denn Marrakesch sei nicht nur eine Stadt, in der es sich gut leben lasse, findet Daoudi, sondern: "Marrakesch ist im Grunde eine Stadt des Rock’n‘Roll, eine Stadt, die herausfordert, die Konventionen über Bord wirft, die Kreativität verleiht.

Kunst, Kommerz, Kitsch. Marrakesch, das große Theater, lässt sich nicht festlegen, genauso wenig wie sein Wahrzeichen, die Bühne, der Djemma El Fna. Heiß begehrt am Abend, wenn die Störche durch den blauen Abendhimmel schweben. Wenn aus den Garküchen der Dampf aufsteigt und der Platz im Schein der Lampen in ein rotgoldenes Licht getaucht wird, als stünde er in Flammen. Marrakesch will ewiges Schauspiel sein. Und Djemaa El Fna, heißt eben auch: Die Versammlung, die niemals endet.

Autor: Alexander Göbel

Redaktion: Michaela Paul