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Massenproteste in China

17. Dezember 2011

Im südchinesischen Wukan protestieren Tausende Menschen gegen Landenteignung. Das Fischerdorf ist komplett abgeriegelt. Unbestätigten Angaben zufolge gab es in China allein im vergangenen Jahr 180.000 Massenproteste.

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Wukan, Provinz Kanton, China
Wukan liegt in der Provinz Kanton im Süden Chinas

Erste Zusammenstöße im Dorf Wukan in der südchinesischen Provinz Kanton gab es bereits im September. Damals gingen der chinesischen Zeitung South China Morning Post zufolge Tausende Dorfbewohner auf die Straße und protestierten gegen den Zwangsverkauf von Ackerland an Wohnungsbauunternehmen. Einige Demonstranten gingen sogar so weit, die örtlichen Verwaltungsbüros zu plündern und mehrere Polizeifahrzeuge umzustürzen. Die örtliche Behörde versprach, den Landverkauf umgehend zu überprüfen. Doch die Untersuchungsergebnisse ließen auf sich warten. Die versprochene Entschädigung für enteignete Landbesitzer blieb ebenfalls aus.

Hochhäuser in der Provinz Kanton (Foto: DP)
Die Provinz Kanton ist ein bedeutender Industrie- und Handelsstandort in ChinaBild: DW/Rimmele

Mitte November protestierten laut chinesischen Internet-Nachrichtenportalen mehr als 4000 Dorfbewohner in Wukan erneut, diesmal auch gegen Korruption in der örtlichen Verwaltung. Auf den Transparenten seien Aufrufe wie "Menschenrechte her!" oder "Schluss mit der Diktatur!" zu sehen, hieß es in den Internet-Berichten. Tausende Polizisten seien im Einsatz gewesen. Das Dorf wurde abgeriegelt, die Kommunikations-Möglichkeiten zeitweise unterbrochen.

Die Lage eskaliert

Anfang Dezember spannte sich die Lage weiter an, als ein inhaftierter Demonstrant ums Leben kam. Die Angehörigen äußerten Zweifel an der Todesursache. Die Polizei schloss Fremdeinwirkung aus.

Die chinesischen offiziellen Medien spielen die Unruhen in Wukan herunter. Die Zensurbehörde filtert Suchbegriffe wie Wukan aus dem Netz. Über Chinas größtes soziales Netzwerk "Weibo" kommunizieren User mittlerweile über eine "Geheimsprache". Sie benutzen Metaphern oder Abkürzungen, wenn sie über die Vorfälle in Wukan diskutieren. Die wenigen Meldungen, die aus Wukan in die Außenwelt eindringen, deuten auf eine Eskalation hin. Malcolm Moore, China-Korrespondent der britischen Zeitung The Daily Telegraph, hält sich derzeit in Wukan auf und berichtet für DW-WORLD.DE aus der Mitte des Geschehens: "Die wichtigsten Straßen Wukans sind abgesperrt. Überall sind schwerbewaffnete Sicherheitskräfte zu sehen." Moore beschreibt die Lage als sehr kritisch. Lebensmittel-Lieferungen seien nicht in das Dorf hineingelassen worden.

Massenproteste nehmen zu

Junge Chinesen rufen Protestparolen (Foto:AP)
Junge Chinesen rufen ProtestparolenBild: AP

In Kanton, einem der wichtigsten Industriezentren Chinas, gab es in diesem Jahr zahlreiche Proteste gegen soziale Ungerechtigkeiten. Im Juni protestierten in der Stadt Zengcheng Tausende Wanderarbeiter gegen die mutmaßliche Misshandlung einer Straßenhändlerin. Im selben Monat lieferten sich Hunderte Menschen Auseinandersetzungen mit der Polizei, nachdem ein Fabrikarbeiter durch eine Messerattacke verletzt worden war. Auch an anderen Orten im Riesenreich der Mitte braut sich immer wieder etwas zusammen. Im August ordneten die Behörden in der nordchinesischen Stadt Dalian nach einem Massenprotest gegen den Bau einer Chemiefabrik die sofortige Stilllegung des Werkes an. Im Mai kam es in zahlreichen Städten der Inneren Mongolei zu Demonstrationen, nachdem ein mongolischer Hirte von einem chinesischen Kohlearbeiter angefahren und getötet worden war.

"Stabilität geht vor!"

Auf soziale Unruhen im Land fällt die Reaktion aus Peking in der Regel ähnlich aus: die Polizeipräsenz wird verstärkt, Kommunikations-Möglichkeiten beschränkt, die Berichterstattung sorgfältig kontrolliert. Denn für Peking hat Stabilität die höchste Priorität! Dennoch nehmen die sozialen Unruhen zu. Der chinesische Soziologe Sun Liping zählt in seinem jüngsten Bericht 180.000 Massenproteste allein im vergangenen Jahr, das sind dreimal so viele wie vor zehn Jahren. Seine Informationsquellen bestehen aus Eigenrecherche, Augenzeugen- und Medienberichten.

Polizeitruppe und Demonstranten (Foto: AP)
Bei Protesten in China ist die Polizei schnell zur StelleBild: AP

Massenproteste seien das größte Problem, mit dem Chinas Gesellschaft zurzeit konfrontiert werde, sagt Li Dun, Soziologieprofessor an der Universität Qinghua. "Ohne Rechtsstaatlichkeit und funktionierende Zivilgesellschaft besteht die Gefahr, dass Chinas Gesellschaft auseinander bricht", betont er.

Laut einer im Juni veröffentlichten Agrar-Studie der Universität Renmin, die knapp 2000 Haushalte in sechs Provinzen Chinas befragte, ist die illegale Enteignung von Ackerland die Hauptursache für soziale Unruhen in ländlichen Gebieten. Oft werden Bauern dabei finanziell benachteiligt. Zwangsverkauf von Land war ja auch der Auslöser für die Massenproteste in Wukan. Ausgerechnet dort, wo im Jahr 1927 einer der ersten Bauernaufstände unter kommunistischer Führung stattfand, gehen die Bauern heute für ihre Rechte wieder auf die Straße, allerdings diesmal gegen die kommunistische Herrschaft.

Autorin: Xiegong Fischer
Redaktion: Ana Lehmann