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Maulkorb-Erlass für Belarus

15. Dezember 2005

In Belarus soll "Diskreditierung" des Landes und des Regimes bestraft werden. Klares Ziel des Gesetzes sei es, kritische Geister zu entmutigen und zu kriminalisieren, meint Cornelia Rabitz in ihrem Kommentar.

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Unabhängige, kritische oder gar oppositionelle Geister haben es schon lange schwer im Reich des Aleksandr Lukaschenko: Wer in Weißrussland anders denkt als das Regime es wünscht, steht längst mit einem Bein im Gefängnis.

Jetzt aber werden die Zügel noch einmal angezogen - mit einem Gesetz, das man getrost als "Maulkorb-Erlass" bezeichnen kann: Wer den Staat diskreditiert, indem er dem Ausland wissentlich "falsche Informationen" über die politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Lage in Weißrussland zur Verfügung stellt, kann dem Gesetz zufolge mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Wer an Demonstrationen und Protestaktionen nicht registrierter - das heißt unabhängiger oder oppositioneller - Gruppen teilnimmt, riskiert ebenfalls Gefängnis. So genannte "schädliche Kontakte" mit ausländischen Staaten und Institutionen sind untersagt. Was falsche Informationen und was unerwünschte Kontakte genau sind, das unterliegt der Interpretationshoheit des Regimes.

Angst und Unsicherheit verbreiten

Vorgelegt und besonders unterstützt wurde das Gesetz vom allgegenwärtigen Geheimdienst - der heißt in Belarus immer noch KGB. Ihm und den willfährigen Abgeordneten im Minsker Parlament geht es einzig und allein darum, Angst und Unsicherheit zu verbreiten. Manche rechnen schon bald mit Schauprozessen. Menschen, die für eine demokratische Entwicklung, eine lebendige Zivilgesellschaft eintreten, sollen entmutigt, diskriminiert und kriminalisiert werden. Wer also beispielsweise als unabhängiger Wissenschaftler an einer Konferenz im Ausland teilnimmt, dort seine gewonnenen Erkenntnisse - etwa über wirtschaftliche Probleme in Belarus - verbreitet, kann bei seiner Rückkehr schon an der Grenze verhaftet werden. Wer für ausländische Medien arbeitet, dem droht das gleiche Schicksal. Die Zusammenarbeit mit internationalen nicht-staatlichen Organisationen oder politischen Stiftungen wird erschwert.

Das Regime nimmt für sich eine all umfassende Fürsorge in Anspruch, weshalb Politiker das neue Gesetz auf geradezu bizarre Weise begründeten: Es gehe darum, die Lage "zu stabilisieren". Und im Übrigen spreche man ja öffentlich auch nicht schlecht über die "eigene Familie". Der autoritäre Staat als Familie!?

Erschreckende Gleichschaltung

Unter dem Deckmantel allumfassender Fürsorge verbirgt sich eine Bevormundung, die jeden Widerspruch im Keim ersticken soll. In Minsk ist man nervös. Wenige Monate vor den geplanten Präsidentschaftswahlen fürchten Aleksandr Lukaschenko und die Nomenklatura des Landes nichts mehr als gesellschaftliche und politische Veränderungen wie etwa in der Ukraine oder Georgien. Ein Umsturz der Verhältnisse soll mit allen Mitteln verhindert werden.

Daher erfolgt derzeit eine erschreckende Gleichschaltung auf vielen Ebenen: Rechtsanwälte dürfen sich nicht mehr zu Menschenrechtsfragen äußern, kritische Studenten werden gegängelt und von den Universitäten verwiesen, Schriftsteller mundtot gemacht. Eben erst wurde ein staatstreuer Autorenverband gegründet, um auch noch die letzten Reste künstlerischer Freiheit zu beseitigen und unabhängige Schriftsteller ins Abseits zu stellen. Wie zu sowjetischen Zeiten herrscht eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung. Über Politik spricht man nur hinter vorgehaltener Hand, die Furcht vor Repression ist überall spürbar. Für Journalisten und Schriftsteller, für Wissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft ist in Weißrussland eine bleierne Zeit angebrochen.

Cornelia Rabitz

DW-RADIO/Russisch, 12.12.2005, Fokus Ost-Südost