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Maulkorb für chinesische Medien

Rainer Sollich14. Juli 2004

Jahrzehntelang waren die Medien in China Verlautbarungsorgane der Kommunistischen Partei. Noch immer endet die Freiheit dort, wo das Machtmonopol der Partei anfängt. Nicht nur das Internet, sogar SMS werden zensiert.

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Nachrichten werden gerne gefiltertBild: AP

"Was eine Nachricht ist, bestimme ich!" So oder so ähnlich lautet das Berufscredo von Chinas Pressezensoren. Und so kam es, dass am 11. November 2001 chinesische Radiosendungen nicht mit der Meldung aufmachten, dass es dem Land nach 15 Jahren Verhandlung endlich gelungen war, in die Welthandelsorganisation aufgenommen zu werden. Stattdessen erfuhr der Hörer als erstes, dass Präsident Jiang Zemin seinem ruandischen Kollegen Paul Kagame zum 30-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen gratuliert habe. Aber wer wollte das wirklich wissen?!

Es tut sich was

In vielen Redaktionen gab es vor drei Jahren noch eine Anweisung der obersten Partei-Zensoren, der zufolge Meldungen über den Präsidenten grundsätzlich an erster Stelle zu stehen haben - selbst wenn der sich gerade mit repräsentativen Aufgaben oder anderen nachrangigen Dingen beschäftigt hat. Ebenso obligatorisch folgten, streng nach politischer Hierarchie: Nachrichten über den Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses sowie über Aktivitäten des Ministerpräsidenten. Die viel spannendere Nachricht über den lange herbeigesehnten WTO-Beitritt erreichte den Hörer deswegen erst später und fast beiläufig - weil es in diesem Fall eben "nur" der Handelsminister war, der die entsprechenden Papiere unterzeichnete.

Heute ist von dieser seltsamen Anweisung nicht mehr viel übrig. Offenbar haben einige modern denkende Köpfe im Informationsministerium erkannt, dass der Aufbau von Nachrichtensendungen nach hierarchischem Raster nicht mehr zeitgemäß ist und vor allem langweilt. Natürlich gibt es auch heute noch in jeder Redaktion Zensoren. Aber die Freiheiten sind insgesamt größer geworden. Ob im Inlandsrundfunk, im staatlichen Fernsehen oder beim Auslandssender Radio China International - man bemüht sich inzwischen, das Wichtigste an erster Stelle zu bringen.

Wenn er nichts Wichtiges tut, dann muss der Präsident halt mit Platz 2 oder 3 vorlieb nehmen. Sogar kritische Berichte, etwa über Korruption auf städtischer oder auf Provinzebene, finden immer häufiger Eingang in staatliche oder staatlich kontrollierte Medien. Völlig tabu bleibt allerdings weiterhin, die Partei- und Staatsführung zu kritisieren. Über das Massaker an der Studentenbewegung 1989 zum Beispiel darf auch 15 Jahre später noch nicht kritisch berichtet werden. Wer es trotzdem tut, muss damit rechnen, inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt zu werden.

Kontrolle muss offenbar nach wie vor sein

Auch das Internet wird streng überwacht. So ist die chinesische Internet-Seite der Deutschen Welle seit Monaten gesperrt, andere große Sender wie CNN oder BBC stehen ebenfalls auf dem Index. Zudem sitzen mehr als 60 Chinesen im Gefängnis, weil sie selbst kritische Informationen im Internet platziert haben. Und seit Ende Juni 2004 werden sogar SMS-Mitteilungen auf chinesischen Handys stichprobenartig auf unliebsame Inhalte überprüft. Offiziell geht es dabei um Spam und pornografische Inhalte. Aber Beobachter gehen davon aus, dass die Zensoren dabei auch politisch "sensible" Inhalte im Blick haben.

Dennoch: Die Zeit des puren Propaganda-Journalismus gehört auch in China der Vergangenheit an. Allein schon aus wirtschaftlichen Gründen: Bedingt durch zurückgehende finanzielle Zuwendungen von staatlicher Seite sind die meisten chinesischen Medien heute gezwungen, sich auf dem freien Markt zu behaupten. Mit dem Ergebnis, dass beispielsweise Wirtschaftsberichte, Unterhaltung und Informationen ohne politische Brisanz immer professioneller dargeboten werden. Selbst negative Ereignisse wie Bergwerksunglücke, Naturkatastrophen oder das plötzliche Auftauchen der Lungenseuche SARS vor einem Jahr werden nicht mehr totgeschwiegen. Allerdings sind die Medien angehalten, bei Negativ-Berichten auch die "Heldentaten" der staatlichen Helfer in der Vordergrund zu stellen.

Zensur mit Sprachbarriere

Welche Inhalte zensiert werden und welche nicht, bleibt in Grenzfällen aber auch schon mal dem Zufall überlassen. "Nicht alle Zensoren in unserem Hause können englisch", erzählt beispielsweise ein Redakteur von CCTV 9, dem englischsprachigen Nachrichtenkanal des staatlichen chinesischen Fernsehens mit Sitz in Peking. Die etwas kritischeren Themen platziere man deshalb meist dann im Programm, wenn der sprachkundige Zensor gerade auf Dienstreise sei.