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Politik

Die CSU setzt der Kanzlerin ein Ultimatum

14. Juni 2018

Der Bundestag unterbrach seine Plenarsitzung, die Unionsparteien berieten getrennt. Anschließend konfrontiert die CSU die Kanzlerin mit einer offenen Drohung. Doch die CDU stärkt Merkel den Rücken.

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Unions-Fraktionssitzung Angela Merkel Horst Seehofer
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Lage sei "sehr ernst", sagt CSU-Landesgruppenchef Dobrindt. Der Unionsstreit um die Flüchtlingspolitik ist eskaliert. Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine CSU weisen den Vorschlag der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel zurück, auf eine europäische Lösung zu warten. Sollte es keine Einigung geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen, sagte Seehofer. 

Dieser Schritt sei gedeckt durch deutsches und europäisches Recht, sagte Dobrindt. Es sei dringend nötig, bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, "um wieder Ordnung an den Grenzen zu schaffen".

Ein CSU-Alleingang wäre ein Affront gegen die Kanzlerin und könnte zum Ende der Koalition führen. Dies vor Augen, scheint sich eine Mehrheit der CDU-Abgeordneten hinter Merkel zu versammeln. Teilweise sei in der Sitzung auch offene Kritik am Vorgehen der CSU und an einigen ihrer Aussagen geübt worden, heißt es von Teilnehmern der Sondersitzung der CDU-Bundestagsfraktionsmitglieder. Von mehreren Rednern sei betont worden, dass der Kanzlerin "vollstes Vertrauen" entgegengebracht werde. Merkel habe anschließend gesagt, sie fühle sich "gestärkt" in ihrer Linie, nach Lösungen auf europäischer Ebene zu suchen.

Wolken über dem Reichstag in Berlin
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

CSU will den Alleingang

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die CSU-Abgeordneten derweil auf Härte im Asylstreit eingeschworen. "Wir sind im Endspiel um die Glaubwürdigkeit", soll er auf der Sondersitzung der CSU-Landesgruppe in Berlin gesagt haben. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland weiter berichtet, sieht Söder die Union an einer "historischen Weggabelung". Sie müsse "endlich die Fehler von 2015 beheben". Damals hatte Kanzlerin Merkel die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, die in Ungarn und anderswo festsaßen.

Doch auf eine Abstimmung in der Unionsfraktion will die CSU vorerst verzichten. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte nach den getrennten Beratungen von CDU und CSU im Bundestag, Teile des Masterplanes von Horst Seehofer stünden "in der direkten Verantwortung des Bundesinnenministers" und sollten daher umgesetzt werden, ohne erst auf eine Einigung auf EU-Ebene zu warten.

Wegen des Sondertreffens der CDU- und CSU-Abgeordneten ist die Bundestagssitzung unterbrochen. Die Parlamentarier beider Parteien berieten getrennt. Allein bei der CDU habe es mehr als 50 Wortmeldungen gegeben, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Auch die SPD-Abgeordneten hatten sich zu Beratungen getroffen. Anschließend rief Fraktionschefin Andrea Nahles die Unionsparteien auf, ihren Streit um die Flüchtlingspolitik beizulegen. "Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind hier nicht angemessen", sagte sie.

Bundestag
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles im Plenarsaal des BundestagsBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Der Koalitionspartner SPD warnt vor nationalen Alleingängen und stellt sich damit indirekt hinter Merkel. SPD-Generlasekretär Lars Klingbeil zeigte "entsetzt" über das "Chaos" in der Union. "Die Unionsparteien haben in den Koalitionsverhandlungen monatelang über das Thema Flüchtlingspolitik verhandelt und am Ende wurde alles bis ins Detail im Koalitionsvertrag geregelt", erklärte Klingbeil. "Wir haben klar vereinbart, dass wir keine nationalen Alleingänge wollen, sondern für ein geschlossenes und handlungsfähiges Europa stehen." Klingbeil  sagte, es müsse Schluss damit sein, dass sich alles um die bayerische Landtagswahl dreht.

Was die Opposition sagt

Die Oppositionsparteien betrachten den Unions-Disput mit einer Mischung aus Gelassenheit und Häme. Die Linksfraktion fordert eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin in dieser "offensichtlichen Regierungskrise". Fraktionschefin Sahra Wagenknecht forderte die Kanzlerin indirekt zum Rücktritt auf: "Merkel sollte jetzt die Konsequenzen ziehen und der Bevölkerung eine Fortsetzung dieses Trauerspiels ersparen", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung".

FDP-Chef Christian Lindner hat Unterstützung für die Position von CSU-Chef Horst Seehofer im Streit um die Asylpolitik erkennen lassen. Als "Zwischenschritt" könne es "sinnvoll sein, Vorschläge in der Richtung von Herrn Seehofer auch zu nutzen". Längerfristig sei aber eine europäische Lösung in der Asylpolitik nötig, sagte Lindner in Berlin. 

Die Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alice Weidel, kritisiert, die CDU/CSU wolle nur Zeit kaufen bis zum bayerischen Landtagswahlkampf. "Wenn Herr Seehofer, der die ganze Zeit über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin mitgetragen hat, jetzt urplötzlich die AfD-Positionen für sich entdeckt, dann sind das alles nur Nebelkerzen", sagt sie. Am Ende werde ein fauler Kompromiss herauskommen; die AfD sei das Original.

Sarah Wagenknecht, Christian Lindner, Alice Weidel
Sahra Wagenknecht, Christian Lindner, Alice Weidel

Die Grünen werten das Vorgehen von Seehofer und der CSU als unverantwortlich. Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, die Instabilität in der Regierung gefährde mittlerweile auch die Stabilität in Deutschland und in der EU. Derzeit missbrauche Seehofer sein Amt als Innenminister de facto als "CSU-Wahlkampf-Minister". Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt äußerte sich "tief besorgt angesichts der Regierungskrise, die wir derzeit erleben. Wir stehen an einem Scheideweg: Jetzt geht es um eine Entscheidung für ein starkes Europa der Solidarität, Humanität und des Rechtsstaates oder für den Verrat all dieser Werte".

Worum es geht

Nach den gescheiterten Krisengesprächen zur Flüchtlingspolitik hat die CSU die Tonlage verschärft: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder besteht darauf, dass Deutschland in anderen EU-Staaten bereits registrierte Flüchtlinge ab sofort an der Grenze zurückweist. "Es muss jetzt entschieden werden und zwar rasch", sagte der CSU-Politiker in Berlin. Es sei sinnlos, auf eine europäische Lösung zu warten. Damit wies er den Kompromissvorschlag von Kanzlerin Merkel zurück. Dieser sieht vor, zum einen Asylbewerber abzuweisen, die nach einem negativen Bescheid ein zweites Mal versuchen, nach Deutschland einzureisen. Parallel dazu möchte die CDU-Chefin aber Zeit bis zum EU-Gipfel Ende Juni haben, um bilaterale Verträge mit anderen EU-Staaten auszuhandeln.

CSU will deutschen Alleingang

Söder forderte dagegen ausdrücklich einen deutschen Alleingang. "Wenn es einmal eine europäische Lösung gäbe, dann könnte man drüber nachdenken, dass man die deutschen Regeln wieder aussetzt", sagte er. "Wir haben da kein Vertrauen, und wir haben da auch keine Überzeugung, dass es in zwei Wochen etwas zu erreichen gibt, was in drei Jahren nicht möglich war."

Zwischen CDU und CSU kriselt es seit Wochenbeginn wegen der geplanten und verschobenen Präsentation des "Masterplans Migration" von Innenminister Seehofer . Merkel ist mit Seehofer uneins in der Frage möglicher Zurückweisungen von bereits in der EU registrierten Asylbewerbern. Die CSU unterstützt geschlossen Seehofers Plan, Flüchtlinge zurückzuweisen, und vor allem bei den ostdeutschen CDU-Abgeordneten zeichnet sich ebenfalls Zustimmung für Seehofer ab.

Die Lage ist "äußerst schwierig"

Grundsätzlich steht das CDU-Präsidium aber hinter der Parteivorsitzenden: Es unterstützt die Kanzlerin "in ihrer Initiative, im Umfeld des Europäischen Rates mit den am stärksten vom Migrationsdruck betroffenen Ländern Vereinbarungen zu treffen, die eine Zurückweisung und Rückführung von Personen ermöglichen, die in diesen Ländern bereits Asylanträge gestellt habe." So sollten unabgestimmte, einseitige Lösungen zu Lasten Dritter verhindert werden. Die CDU-Spitze erklärte aber auch: "Personen, deren Asylantrag in Deutschland bereits abgelehnt wurde, sollen bei einem erneuten Versuch der Einreise sofort zurückgewiesen werden."

Nun beraten also die Unionsparteien im Bundestag in getrennten Sitzungen. Bei der CSU-Landesgruppe ist das eher üblich, dass jedoch auch die CDU-Abgeordneten zu einer eigenen Sonder-Beratungssitzung zusammenkommen, ist sehr selten. In der Union wird die Lage als äußerst schwierig eingeschätzt.

Bis zum "ganz großen Krach"

Offen ist nach wie vor, ob und wann die gesamte Unionsfraktion zu einer Sondersitzung wegen des Asylstreits zusammenkommt; ob sich dafür ein Kompromiss abzeichnet. Die "Augsburger Allgemeine" zitierte ein ungenanntes CSU-Vorstandsmitglied mit den Worten: "Wir gehen auf maximale Konfrontation." Entweder es gelinge in den nächsten Tagen mit Unterstützung aus der CDU, Merkel dazu zu bewegen, auf den Kurs Seehofers einzuschwenken, oder es komme in Berlin "zum ganz großen Krach".

rb/stu (afp, dpa, rtr)