1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mediation soll deutsche Gerichte entlasten

15. Dezember 2011

Private und geschäftliche Konflikte nicht vor Gericht und trotzdem rechtlich bindend zu lösen, das verspricht das neue Mediationsgesetz. Der Deutsche Bundestag beschloss es am Donnerstag (15.12.2011) einstimmig.

https://p.dw.com/p/13NYi
Symbolbild Hammer im Gerichtssaal (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Ein Kunde rutscht im Winter auf einer Eisfläche vor der Ladentür des Supermarktes aus, verletzt sich schwer an der Wirbelsäule und muss nach einem längeren Krankenhausaufenthalt den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Dem 47-Jährigen wird von seinem Arbeitgeber gekündigt, da er seine Tätigkeit als Verkaufsleiter im Einzelhandel nicht mehr ausüben kann. Der Geschädigte klagt daraufhin gegen den Supermarkt wegen "Vernachlässigung der winterlichen Räumpflichten". Er fordert Schmerzensgeld, medizinische Sonderleistungen, einen behindertengerechten Umbau seines Hauses und seines Autos und eine Entschädigung wegen des Verlustes seines Arbeitsplatzes. Die Gesamtsumme beläuft sich auf 750.000 Euro.

Um ein langwieriges Verfahren zu vermeiden, sucht der Manager des Supermarktes nach einer außergerichtlichen Lösung und ruft einen Mediator an. Dessen Bemühungen bringen ein erstaunliches Ergebnis: Der Rechtsstreit wird beendet, der Supermarkt stellt den Geschädigten unbefristet als Leiter der Verkaufs- und Warendisposition mit dem Status "Schwerbehinderter" ein. Zudem bekommt der Geschädigte einen Schadenersatz in Höhe von 75.000 Euro, den der Supermarkt mit Warengutscheinen in zehn Jahren "abbezahlt".

Überlastete Gerichte

Mediator Andreas Kövel (Foto: consens Wirtschaftsmediation)
Andreas Kövel: "Mediation erspart lange Wartezeiten"Bild: www.consens-wm.de

Wer in Deutschland ein Verfahren vor einem Amtsgericht anstrebt, muss eine Wartezeit von rund viereinhalb Monaten in Kauf nehmen. Beim Landgericht dauert es fast doppelt so lange, bis es zur Verhandlung kommt. Der Ausgang ist offen, das Risiko, eine juristische Niederlage zu erleiden, hoch. Die Mediation, also die außergerichtliche Konfliktlösung, ist eine kostengünstige und zugleich zeitsparende Alternative. Deswegen entscheiden sich immer mehr Menschen, einen Mediator aufzusuchen. Andreas Kövel, Miteigentümer der Düsseldorfer Mediationsfirma "Consens", spricht von einer "erheblichen Entlastung" der Gerichte.

Mediation wird häufig bei Konflikten im Arbeits- und Wirtschaftsrecht eingesetzt, aber vor allem im Familienrecht. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Karin und Stefan S. sind Halbgeschwister. Sie streiten um das von ihrem gemeinsamen Vater hinterlassene Haus. Beide beanspruchen aus unterschiedlichen Gründen 75 Prozent der Verkaufssumme. Am Beginn der Mediation scheint eine gütliche Einigung nicht möglich, die Fronten sind verhärtet, die Geschwister machen sich gegenseitig Vorwürfe.

Lösung im gegenseitigen Interesse

Ein Mann mit einem Geldbündel vor Justitia, der Göttin der Gerechtigkeit (Foto: dpa)
Mediation spart Geld und entlastet die JustizBild: picture-alliance/ dpa

Es folgen fünf etwa einstündige Mediations-Sitzungen; immer wieder wollen beide Seiten die Mediation abbrechen, sind von der Unsinnigkeit der Vermittlungsbemühungen überzeugt. Doch schließlich erzielen die Geschwister trotz allem eine Einigung: Danach wird das Haus nicht verkauft, sondern teilweise vermietet. Im umgebauten Dachgeschoss lebt fortan die Schwester. Sie muss nur die Nebenkosten bestreiten, die Mieteinnahmen teilen sich die Halbgeschwister, der Bruder beteiligt sich an den Umbaukosten.

Bei einem durchschnittlichen Stundenhonorar für den Mediator von etwa 250 Euro haben die beiden 1.250 Euro bezahlt und sich jede Menge Gerichtskosten gespart. Zudem befindet sich das Haus ihres Vaters weiterhin in ihrem Eigentum: Ein Mediations-Ergebnis, das beide nicht erwartet hätten, mit dem beide aber gut leben können.

In der Mediation steht die Suche nach einem Kompromiss im Vordergrund. Der Mediator vertritt nicht eine Partei, sondern bleibt neutral. Die Streithähne sind anwesend, lassen sich auf die Spielregeln des Mediators ein und sind bereit, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Mediatoren sind häufig Anwälte, müssen das aber nicht sein. Auch Psychologen oder Sozialpädagogen können sich zum Mediator ausbilden lassen. Eine definierte Ausbildung zum Mediator gibt es übrigens nicht, es ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Und es steht allen Beteiligten frei, einen Anwalt zu konsultieren, betont Andreas Kövel von der Mediationsfirma "Consens": "Denn ein Mediator agiert nicht als Rechtsanwalt, er darf also keine rechtlich fundierte Beratung anbieten." Aber auch ohne diese juristische Kompetenz ist die Erfolgsquote sehr hoch: 80 bis 90 Prozent aller Fälle werden einvernehmlich gelöst.

Deshalb gewinnt die außergerichtliche Konfliktregelung zunehmend an Bedeutung. Die Konfliktparteien schließen im Erfolgsfall einen in der Regel rechtlich bindenden Vertrag ab, der die gütliche Einigung ihres Streites festhält und regelt.

Gesetz zur Entlastung der Justiz

Ein Mann und eine Frau sitzen sich sehr nah gegenüber (Foto: Fotolia)
Auch in ausweglos scheinenden Streitigkeiten kann Mediation eine Einigung herbeiführenBild: Fotolia/Ria Gürtner

Der Rechtsauschuss des Deutschen Bundestages hatte am 30. November 2011 den Gesetzentwurf zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ("Mediationsgesetz") einstimmig beschlossen und damit die Grundlage für einen Parlamentsentscheid gelegt. Demnach sind Mediationsverfahren im Bereich aller Gerichtszweige vorgesehen, außer im Strafrecht. Denn hier muss die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip Straftaten ermitteln, der Staat darf seine hoheitliche Sanktionsbefugnis und -pflicht nicht aus der Hand geben. Mit dem neuen Gesetz setzt Deutschland zugleich eine 2008 beschlossene EU-Richtline um, in der es um grenzüberschreitende Mediation in Zivil- und Handelssachen geht.

Das neue Gesetz wird von den Mediatioren begrüßt. Christoph Paul, ehemaliger Sprecher der Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation, freut sich über klare Ausbildungs- und Zertifizierungsregeln. "Das bringt für den Verbraucher Sicherheit und für uns eine bessere Legitimation", sagt der Rechtsanwalt und überzeugte Mediator. Pro Jahr werden bis zu 20.000 Fälle durch Mediationen außergerichtlich beigelegt. Manche dieser Fälle würden ordentliche Gerichte mitunter Monate oder Jahre beschäftigen und im Vergleich zur Mediation Unsummen verschlingen.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Manfred Böhm/Daphne Grathwohl