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"Das war kalkulierter Rechtsbruch"

Gaby Reucher 8. April 2016

Das "Schmähgedicht" des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Erdoğan beschäftigt die Justiz. Markus Kompa erklärt den Unterschied zwischen Satire und Beleidigung und ob eine Klage Chancen hat.

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Jan Böhmermann und Recep Tayyip Erdogan in eienr Bildkombo Foto:c) picture-alliance/dpa/B. Pedersen/R.
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen/R. Ghement

Deutsche Welle: Herr Kompa, Sie sind Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Der Comedian Jan Böhmermann hat in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" im Zweiten Deutschen Fernsehen ein "Schmähgedicht" auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verfasst und schon selbst geahnt, dass auf ihn Ärger zukommen könnte. Was wird ihm denn überhaupt von rechtlicher Seite vorgeworfen?

Markus Kompa: Im Gespräch ist zum einen die Beleidigung eines Vertreters eines ausländischen Staates nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches. Das würde aber voraussetzen, dass ein Strafverlangen der Türkei vorliegt, und die Bundesregierung müsste ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen. Da wäre der Schwarze Peter bei Frau Merkel. Es könnte auch ein Strafantrag von Herr Erdoğan persönlich wegen Beleidigung nach § 185 StGB gestellt werden. Dies könnte er wie jeder andere Bürger auch tun, der beleidigt wird. Er muss in diesem Fall allerdings selbst tätig werden. Dies kann niemand für ihn erledigen, dem missfällt, was Herr Böhmermann tut. Zivilrechtlich könnte man eine Unterlassung verlangen. Allerdings hat das Zweite Deutsche Fernsehen den Beitrag ja schon aus der Sendung und aus der Mediathek genommen - das wäre also witzlos. Man könnte auch Schadensersatz verlangen, aber das ist eher theoretisch.

Man wirft Jan Böhmermann vor, dass er die Grenzen der Satire überschritten habe, dass er also beleidigend geworden ist.

Man prüft zuerst, ob eine Beleidigung vorliegt, also ob jemand einen berechtigten Anlass hat, sich beleidigt zu fühlen. Das wird in dem Fall nicht so schwierig sein.

Was meinen Sie damit, dass dies nicht schwierig sein wird?

Dass Jan Böhmermanns "Schmähgedicht“ irgendwie beleidigend ist, ist unstrittig. Dann muss man jedoch die Frage stellen: Sind Jan Böhmermanns Aussagen rechtswidrig? Und diese Frage muss nicht unbedingt mit "Ja" beantwortet werden, weil wir es mit Satire zu tun haben. Satire ist ein Unterfall der Meinungsfreiheit, die durch Artikel fünf des Grundgesetzes besonders geschützt ist. Und es könnte zusätzlich sogar ein Fall der Kunstfreiheit vorliegen, die noch stärker geschützt ist. Jetzt stehen allerdings Satire, Kunst- und Meinungsfreiheit nicht über allem. Vor allem dann nicht, wenn fremde Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Dann muss man in jedem Einzelfall eine Abwägung vornehmen und sich genau ansehen: Ist die Satire noch gerechtfertigt? Und wessen Ansprüche überwiegen?

Rechtsanwalt Markus Kompa (C) Dorothee Rietz
Markus Kompa sieht höchstens eine Geldstrafe auf Jan Böhmermann zukommenBild: Dorothee Rietz

Aus Deutschland liegen bereits Anzeigen gegen Herrn Böhmermann vor. Kann jeder Jan Böhmermann anzeigen, weil er oder sie findet, dass Herr Erdoğan beleidigt worden ist?

Nein. Normale Beleidigungsdelikte setzen stets einen Strafantrag des Berechtigten, also Herrn Erdoğans, voraus. Die Beleidigung eines ausländischen Staatsorgans nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, die jetzt diskutiert wird, würde ein Ersuchen der Türkei voraussetzen.

Die Staatsanwaltschaft in Mainz hat aufgrund dieser Anzeigen nun strafrechtliche Ermittlung eingeleitet. Was bedeutet das?

Grundsätzlich gilt: Wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis von irgendwelchen Tatsachen erhält, die ein Strafdelikt erfüllen könnten, wird zuerst einmal eine Ermittlungsakte angelegt. Normalerweise meldet sich dann oft der Betroffene und reicht einen Strafantrag ein. Es ist ein wenig ungewöhnlich, dass die Staatsanwaltschaft jetzt an die Öffentlichkeit geht - ohne, dass ein Strafantrag vorliegt.

War es vorauseilender Gehorsam oder angemessen, dass das Zweite Deutsche Fernsehen, das ZDF, den betreffenden Videoclip aus der Sendung und der Mediathek entfernt hat?

Beides. Es hätte durchaus eine Unterlassungsverfügung gedroht, und das ZDF hat dann wohl auch eher eine politische Entscheidung getroffen. Im Video gibt es Obszönitäten, die sich grundsätzlich niemand bieten lassen muss, die auch nicht durch diesen Anlass ohne Weiteres gerechtfertigt werden. Ich kann das ZDF in dieser Entscheidung sehr gut verstehen.

Jan Böhmermann selbst hat in seinem "Schmähgedicht" gesagt, dass es unter die Gürtellinie geht und dass das, was er gerade im Video sage, verboten sei. Ist das schon Satire?

Damit, dass man so etwas lediglich als Kunst oder als Satire deklariert, kann man sich nicht ohne Weiteres aus der Verantwortung stehlen. In diesem speziellen Fall könnte es aber durchaus funktionieren. Denn die Gerichte unterscheiden zwischen dem Satire-Kern und der äußeren Einkleidung. Der Satire-Kern entspricht nicht den Behauptungen, die unter die Gürtellinie gehen, sondern der Satire-Kern ist, dass Herr Erdoğan Satire verbieten will, und das führt Jan Böhmermann ad absurdum. Jetzt muss man sich eine weitere Frage stellen: Ist die Form in Ordnung? Und die Form ist wirklich sehr derbe, und da würde ich nicht die Hand ins Feuer legen, dass das die deutschen Gerichte mitmachen. Das ist eine Wertungsfrage. Um seinen Satire-Kern zu transportieren, wäre es wohl nicht erforderlich gewesen, dass Herr Böhmermann Herrn Erdoğan Sexualität mit Ziegen andichtet. Gerade beim Sexualbereich sind die Gerichte doch etwas empfindlich.

Szene aus Extra3: Ein Lied für Erdogan - Erdogan ist mit blonder Perücke versehen (c) picture-alliance/AA/V. Furuncu
Erdoğan beschwerte sich beim deutschen Botschafter schon über ein Lied der Satire-Sendung Extra3Bild: picture-alliance/AA/V. Furuncu

Wir hatten am Anfang über diesen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches gesprochen. Wenn es tatsächlich zur Anklage kommt, könnte Herrn Böhmermann eine Gefängnisstrafe drohen.

Das halte ich für unwahrscheinlich. Es würde allenfalls mit einer Geldstrafe enden. Ins Gefängnis wird praktisch nur jemand geschickt, der vorher strafrechtlich ernsthaft auffällig war - jedenfalls nicht bei solchen Sachen. Und Herr Böhmermann hat vielleicht durchaus noch Wohlwollen zu erwarten, da er selbst einmal Schöffenrichter am Amtsgericht in Köln war. Ich kann mir vorstellen, dass er eine Geldstrafe bekommt. Die wird er aus der Portokasse zahlen. Der PR-Wert, den er mit seinem "Schmähgedicht" und der Diskussion darüber erreicht hat, ist unermesslich.

Herr Böhmermann betont in dem Clip, dass wir Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst in Deutschland haben. Würden Sie sagen, dass sich Jan Böhmermann mit dem Video etwas getraut hat, oder war es doch ein riskantes Spiel mit dem Feuer?

Das war kalkulierter Rechtsbruch, wobei es eine Wertungsfrage ist, ob sich ein streitbarer Politiker wie Erdoğan nicht doch auch eine solche Satire bieten lassen muss. Eine Karikatur über Franz-Joseph Strauß, die ebenfalls Sexualität mit Tieren, in dem Fall mit Schweinen zeigte, wurde einst verboten. Eine grenzenlose Meinungsfreiheit wäre allerdings nicht zwingend ein kultureller Gewinn. Es muss schon Grenzen geben, man muss sich nicht alles bieten lassen. Das Persönlichkeitsrecht hat durchaus seine Berechtigung, und Jan Böhmermann ist ja auch ein wichtiger Meinungsträger.

Markus Kompa ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Köln und betreibt zu diesen Themen auch einen Blog. (www.kanzleikompa.de).

Das Gespräch führte Gaby Reucher.