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Politik

Russland soll Telefone von NATO-Soldaten hacken

Teri Schultz ust
6. Oktober 2017

Im Versuch, die NATO im Baltikum und Polen zu stören, soll Russland nun Soldaten persönlich einschüchtern - mit ausspionierten privaten Daten. Experten finden, die NATO unternehme nicht genug gegen die Attacken.

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Vier Soldaten lehnen an einer Laderampe. Sie haben die Helme abgenommen, zwei rauchen. (Foto: Picture Alliance)
Soldaten haben auch im Einsatz ein Privatleben (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/S. Stepanov

Funktionsträger der NATO und der USA haben sich besorgt über Berichte geäußert, wonach fremde Personen ihre Truppen an der Ostgrenze des Bündnisses mit privaten Informationen über sich konfrontiert haben.

Das Wall Street Journal (WSJ) berichtete, Russland nutze fortgeschrittene Überwachungsmethoden, darunter Drohnen und versteckte Antennen, um Daten von Smartphones der Soldaten zu ziehen. In dem Bericht des WSJ schildern Militärs, wie sie in der Öffentlichkeit von einer Person angesprochen wurden, die - beim Versuch, sie einzuschüchtern - private Details über sie lieferte. Die Soldaten, die Teil der verstärkten Truppenpräsenz der NATO in Estland, Litauen, Lettland und Polen sind, hielten die Person für einen russischen Agenten.

US-Botschafterin bei der NATO Kay Bailey Hutchison (Foto: T. Schultz)
US-Botschafterin bei der NATO Kay Bailey Hutchison will das mutmaßlich russiche Hacken ansprechenBild: T. Schultz

Auch ein US-amerikanischer Oberstleutnant berichtete dem WSJ, sein Telefon sei gehackt worden. Er befürchte, dass Russland ihn über sein Telefon verfolge. Die US-Botschafterin bei der NATO Kay Bailey Hutchison versprach in der Zentrale des Verteidigungsbündnisses, dass sie das Thema vorbringen werde.

"Es gab Versuche, unsere Truppen, die in diesem Bereich unserer Allianz eingesetzt sind, zu unterminieren", bestätigte ein Offizieller der NATO. "Aber unser Personal ist trotz dieser hybriden Herausforderungen gut für die Mission vorbereitet." Die Sicherheit der Mitarbeiter habe für die NATO, die teilnehmenden Länder und die Gastnationen immer die höchste Priorität.

Cyberangriff aus Moskau erwartet

Der Offizielle, der nicht befugt war, seinen Namen zu nennen, betonte, dass "alle nötigen Maßnahmen" getroffen worden seien, um die Mission und Netzwerke zu schützen. Das Personal werde geschult, im Alltag - "online inbegriffen" - wachsam zu sein.

Methode ist keine Neuigkeit

Die direkte Belästigung von Angesicht zu Angesicht ist weder neu noch unerwartet. Viele Länder, die Soldaten zur NATO-Mission nahe der russischen Grenze schicken, haben ihre Truppen unter anderem davor gewarnt, zu viel über soziale Netzwerke zu teilen, da es Gegnern "Nachforschungen" erleichtere.

Anfang des Jahres hatte Litauen erfolgreich eine mutmaßlich russische Kampagne mit Falschinformationen abgewehrt, wonach in dem Land stationierte deutsche Soldaten eine Minderjährige vergewaltigt haben sollen. Litauen gehört zu den Ländern, die ihre Truppen am intensivsten im Umgang mit dem Internet schulen.

"Die litauische Armee ist sich der möglichen Risiken und Bedrohungen bewusst, die aus der Benutzung mobiler Geräte, des Internets und sozialer Netzwerke herrühren", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Deutschen Welle. Das Thema werde "sehr ernst genommen". Um eine verantwortungsvolle Nutzung sicherzustellen, werde "jeder litauische Soldat regelmäßig zu staatlichen Einschränkungen und Anforderungen der Informationssicherheit geschult".

Russische Kriegsspiele in Weißrussland

Die Lösung: Keine Smartphones mitnehmen

Bruno Lete, ein Analyst für Sicherheits- und Verteidigungsfragen bei der US-amerikanischen Stiftung "German Marshall Fund" in Brüssel, findet die Berichte nicht besonders alarmierend. "Aus militärischer Sicht ist es einfach, [ein Gehacktwerden] auszuschließen: indem Truppen einfach angewiesen werden, keine Smartphones zu Trainings, Operationen oder Missionen mitzubringen", so Lete. Aber zu wissen, dass "Moskau sie beobachtet", könne durchaus eine "psychologische Last für die Moral der Truppen" sein.

Der Analyst sieht in den Vorfällen einen Beweis dafür, wie aktiv Russland Cyber-Kriegsführung in seine herkömmliche Sicherheits- und Verteidigungsplanung einbaut. An dem Punkt, so Lete zur DW, müsse die NATO mehr tun. Obwohl Cyberabschreckung inzwischen Priorität hat und das Digitale und Virtuelle als offizieller Bereich der Kriegsführung anerkannt ist, bleibt die NATO nach Letes Einschätzung derzeit reaktiv.

Einige Soldaten teilen Daten bereitwillig

Der ehemalige niederländische Geheimdienstoffizier Joe Shenoudy, nun oberster Cyber-Analyst beim Telekommunikationskonzern Verizon, schätzt die Lage bedrohlicher ein. "Es scheint offensichtlich, dass Russland eher Leute schickt, um über soziale Manipulation an mehr Lecks oder geheimdienstlich relevante Informationen zu gelangen, als wenn sie hinter ihren Tastaturen in Moskau sitzen würden." In dem sogenannten "Social Engineering" sieht Shenoudy die größte Gefahr: das Ausspionieren des Umfelds einer Person und die bewusste Täuschung, um so Informationen zu erhalten.

Nach Einschätzung des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters sind viele Nutzer trotz Warnungen und Schulungen - und obwohl sie in vertraulichen Bereichen arbeiten - "unfassbar leichtsinnig", indem sie freiwillig ihre Positionsdaten teilen oder Apps herunterladen. "Gegner können Bewegungen oder Trainings verfolgen", sagte Shenoudy. "Sie können in GPS-Daten herumpfuschen oder falsche SMS-Nachrichten einfügen."

"NATO-Angehörige haben auch ein Privatleben", so Shenoudy weiter, "und die Russen werden alles Mögliche ausnutzen, um dorthin zu gelangen, wo sie hin wollen". In sozialen Medien zugängliche Informationen machen es leicht, Tausenden NATO-Soldaten online zu folgen - auch im realen Leben.

"Das alles ist in der Ukraine seit 2014 gemacht worden", sagte der frühere estnische Präsident Toomas Ilves. Sein Land war Ziel dessen gewesen, was aus heutiger Sicht als erster Akt von Cyber-Kriegsführung gesehen wird: Im Jahr 2007 legten vermutlich russische Hacker die Infrastruktur in der estnischen Hauptstadt Tallinn zeitweise lahm. "Nun ist die NATO dran."