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Medwedews Ausrutscher

Emily Sherwin, Moskau / cr12. August 2016

"Geht halt in die Wirtschaft". Mit einem Kommentar zu den niedrigen Gehältern von Lehrern löst der russische Premier Medwedew einen Shitstorm aus. Hunderttausende fordern in einer Petition seinen Rücktritt.

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Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew . Foto: SPUTNIK / YEKATERINA SHTUKINA / AFP
Bild: Getty Images/AFP/E. Shtukina

"Das Kabinett sollte von jemandem mit Kompetenz und Bildung geführt werden, von jemandem, der sich um das Land kümmert. Momentan ist das Gegenteil der Fall." Dies sind die ersten Zeilen einer Online-Petition, in welcher der Rücktritt des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew gefordert wird. Innerhalb einer Woche haben 250.000 Menschen die Petition unterzeichnet.

Der Grund für die Wut auf den russischen Premier ist dessen Aussage über die Gehälter von Lehrern auf einem Bildungsforum in der vergangenen Woche. Ein junger Dozent an einer Universität in Dagestan fragte, warum Lehrkräfte in Russland lediglich zwischen 10.000 und 15.000 Rubel (ca. 140 – 210 Euro) pro Monat verdienen, während Polizisten auf ein Gehalt von 50.000 Rubel oder mehr kommen. Medwedew, der in der Vergangenheit selbst als Dozent tätig war, antwortete, der Beruf des Lehrers sei eine Berufung. Moderne, dynamische Lehrkräfte würden schon Wege finden, ihr Gehalt aufzubessern. "Wenn Sie Geld verdienen wollen, gibt es eine Menge Orte, an denen sie das schneller und leichter können: zum Beispiel in der Wirtschaft", sagte der Premier und fügte hinzu: "Aber Sie sind eben nicht in die Wirtschaft gegangen."

Nicht der erste Ausrutscher

In einem Land, das unter den Sanktionen des Westens und dem Absturz des Ölpreises leidet, ist der Verdienst ein besonders heikles Thema. Medwedews Worte kamen gefühllos und zynisch an. Auf seine Worte folgte ein öffentlicher Aufschrei. Innerhalb von nur zwei Tagen unterzeichneten so viele Menschen die Petition, dass sich Kremlsprecher Dmitri Peskow zu einem Kommentar gezwungen sah – wenn auch nur mit der Aussage, die Petition "verdient keine Reaktion".

Es ist nicht das erste Mal, dass Medwedew wegen eines politischen Ausrutschers der Wind kalt ins Gesicht bläst. Während der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 etwa schlief er vor laufenden Kameras. Im Mai dieses Jahres kommentierte er die Geldsorgen von Rentnern auf der Krim mit den Worten: "Es gibt kein Geld. Haltet durch. Alles Gute und Gesundheit." Das Video seiner Antwort wurde vier Millionen Mal geschaut. Die Aussage wurde zum Internet-Phänomen.

Damals nahm Präsident Wladimir Putin seinen Regierungschef in Schutz. Medwedews Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, ließ der Kremlchef wissen. Zu Medwedews jüngstem Ausrutscher hat sich Putin bislang nicht geäußert. Schon werden Stimmen über die politische Zukunft des Regierungschefs laut.

"Schmierenkampagne" gegen den Präsidenten

Mittlerweile kursieren Gerüchte, dass Medwedews Entlassung bevorstehen könnte. Einen Tag nach dem Bildungsforum wies ein Sprecher des Kremls diese Gerüchte zurück. Sie seien "reine Spekulation und verdienen keine Aufmerksamkeit."

Eine Woche später allerdings schlägt Medwedews Lehrerkommentar noch immer hohe Wellen. Laut dem russischen Sender RBC könnte nach anonymen Quellen aus dem Kreml eine Intrige hinter der Sache stecken. Offensichtlich zwei Mitglieder der Regierung sagten dem Sender, die ganze Geschichte scheine "geplant" zu sein. Als ehemaliger Dozent habe Medwedew offen mit seinem Publikum auf dem Bildungsforum gesprochen und jetzt müsse er "für seine Offenheit büßen".

Die zwei Offiziellen behaupten, Medwedew sei in eine Falle getappt – gestellt entweder von politischen Gegnern, die es auf sein Amt abgesehen haben, oder von jemandem, der versucht, Putins Partei Vereinigtes Russland, zu schädigen.

Ob Medwedew selbst oder jemand anderes Schuld an dem Shitstorm ist: Kurz vor der Duma-Wahl im September ist der Skandal für Russlands Führung besonders ärgerlich.