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Mehr als 100 iranische Abgeordnete legen Mandat nieder

1. Februar 2004

Die Parlamentskrise in Iran spitzt sich zu. Viele Parlamentsmitglieder zeigen sich nicht mehr bereit, das selbstherrliche Vorgehen des mächtigen Wächterrates zu billigen.

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Irans Parlament laufen die Abgeordneten davonBild: AP
Chatami fordert Ende des Sitzstreiks im iranischen Parlament
Der iranische Präsident Mohammed Chatami ruft am 14.1.2004 im Parlament in Teheran die reformorientierten Abgeordneten dazu auf, ihren Sitzstreik zu beenden. Chatami habe den Abgeordneten versprochen, im Streit um die Kandidatenzulassung bei den kommenden Parlamentswahlen nicht nachzugeben, sagte der reformorientierte Abgeordnete Ahmad Burkani vor Journalisten. Im Gegenzug habe Chatami ein Ende der seit Sonntag andauernden Protestaktion gefordert. Ob die Parlamentarier seinem Aufruf folgen würden, war zunächst unklar.Bild: dpa

Aus Protest gegen den Ausschluss von hunderten Kandidaten von der iranischen Parlamentswahl haben mehr als 100 Abgeordnete ihren Rücktritt erklärt. Die 114 Reform-orientierten Parlamentarier erklärten am Sonntag (1.2.04), unter den gegebenen Umständen könnten sie an der Wahl am 20. Februar nicht teilnehmen.

Zunächst hatten 109 Abgeordnete ihr Mandat niedergelegt, später unterzeichneten fünf weitere ein entsprechendes Schreiben an Parlamentspräsident Mahdi Karrubi. Damit sind mehr als ein Drittel aller Abgeordneten von ihrem Amt zurückgetreten.

Ideale des Staates

Eine Wahl angesichts der vom Wächterrat (s. Stichwort unten) vorgegebenen Bedingungen sei Verrat an den Rechten und Idealen des Staates, erklärte der Abgeordnete Radschab Ali Masruie. Die Abstimmung sei "rechtswidrig und für die Bevölkerung nicht zumutbar". Ein weiterer Abgeordneter, Mohsen Mirdamadi, betonte, die Parlamentarier würden keine Kompromisse eingehen, da es um grundlegende Rechte des Staates gehe, nämlich "zu wählen und gewählt zu werden".

Der Wächterrat hatte am Freitag von den rund 3600 ursprünglich abgelehnten Reformpolitikern zwar 1160 doch zur Wahl zugelassen. Von den insgesamt 8200 Bewerbern sind aber immer noch gut 2400 ausgeschlossen, darunter auch 80 Kandidaten, die zurzeit ein Abgeordnetenmandat innehaben.

Wahl gefährdet

Chatami deutete am Samstag an, die Wahl in drei Wochen möglicherweise abzusagen. "Meine Regierung wird nur Wahlen abhalten, die im Geiste des Wettbewerbs und frei verlaufen. Das Parlament muss die Ansichten der Mehrheit repräsentieren und alle politischen Strömungen einschließen", wurde Chatami von der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA zitiert. Innenminister Abdolwahed Musawi Lari sagte, "wir betrachten diese Wahl nicht als legitim". Eine außerordentliche Kabinettssitzung zu der innenpolitischen Krise sagte Chatami anschließend wegen gesundheitlicher Probleme ab. Der Präsident werde wegen schwerer Rückenschmerzen ärztlich behandelt, erklärte ein Mitarbeiter.

Sitzstreik iranischer Abgeordneter
Sitzstreik iranischer Abgeordneter am 13.1.2004 in Teheran. Sie veranstalteten den dritten Tag in Folge einen Sitzstreik im Parlament. Im Streit um den Ausschluss von reformorientierten Politikern von der bevorstehenden Parlamentswahl in Iran bleibt der konservative Wächterrat hart. Der Wächterrat werde sich an seine gesetzmäßige Rolle halten und sich nicht durch Rücktrittsdrohungen einschüchtern lassen, sagte sein Sprecher Mohammad Dschahromi am 13.1. der Nachrichtenagentur Kar. Fünf Minister sollen aus Protest gegen den Ausschluss der Reform-Kandidaten ihren Rücktritt erwägen, berichtete die Agentur unter Berufung auf informierte Kreise weiter.Bild: AP

Parlamentspräsident Karrubi sagte, er habe mit Chatami neue Bemühungen für eine Lösung des Streits unternommen und sei auch mit dem obersten geistlichen Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, zusammengetroffen. Chamenei setzt die Mitglieder des Wächterrats persönlich ein und kann ihre Entscheidungen aufheben.

Zwei Möglichkeiten

Die Gouverneure aller iranischen Provinzen haben eine Durchführung der Wahl "unter den gegebenen Umständen" bereits ausgeschlossen. Mehrere Minister und Vizepräsidenten reichten aus Protest gegen den Kandidaten-Ausschluss ihren Rücktritt ein, den Chatami jedoch nicht annahm.

Die Regierung hat nun zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte sie sich weigern, die Wahl durchzuführen. Der Wächterrat könnte dann versuchen, den Urnengang mit Hilfe der Elitetruppe Revolutionäre Garde und der Armee selbst zu organisieren. Zum andern könnte die Regierung versuchen, dem Wächterrat die Stirn zu bieten und das Innenministerium, dem die Durchführung der Wahl obliegt, anweisen, alle disqualifizierten Kandidaten zuzulassen. (mas)