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Mehr als nur Bücher

16. Juli 2002

Rolltreppen und Cafés, Sitzgruppen und Stapel mit Sonderangeboten: Moderne "Erlebnisbuchhandlungen" ziehen gewaltige Besucherströme an. Die kleinen Buchhändler müssen sich warm anziehen.

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Bücherkaufhäuser verdrängen SchmökerstubenBild: DW

Seit etlichen Jahren erlebt die mittelständisch geprägte Buchbranche in Deutschland einen Strukturwandel. Längst sind die Ketten der Bücherkaufhäuser auch in kleinere Städte vorgedrungen. Hinzu kommt die Konsumflaute: Der Buchhandel, dessen Umsätze seit Jahren mehr oder weniger stagnieren, musste in den ersten fünf Monaten 2002 im Jahresvergleich ein Minus von 2,1 Prozent hinnehmen.

"Früher wurden bestimmte Bannmeilen eingehalten. Es gab die stillschweigende Regel, nicht in wenigen hundert Metern Entfernung von einer Buchhandlung eine neue aufzumachen", sagt die stellvertretende Koblenzer Filialleiterin der Buchhandelskette Bouvier, Christine Böse. "Heute gilt das nicht mehr: Der Buchhandel expandiert viel aggressiver." Gegen einen Branchenriesen wie Thalia oder Hugendubel als neuen Nachbarn habe ein kleiner Buchhändler "keine Chance" - wenngleich mittlerweile auch an den Großen die Flaute nicht spurlos vorübergeht. So hat Hugendubel wegen sinkender Umsätze bereits Kurzarbeit in seinen 28 Filialen angemeldet.

Weltweiter Trend

In anderen Ländern sieht die Situation ähnlich aus. In England hat die Ladenkette "Waterstones" das Land mit Buchhandlungen überflutet – in Amerika teilen sich "Borders" und "Barnes & Noble" den Markt. Ihre Verkaufsflächen sind meist mehrere hundert Quadratmeter groß. Viele kleine Buchhandlungen, die mit Café-Ecken häufig auf Gemütlichkeit setzten, mussten bereits schließen.

In Deutschland hat sich die Zahl der Buchhandlungen in den vergangenen Jahren kaum verändert. 4661 Mitgliedsfirmen hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in diesem Jahr gezählt. Das waren nur neun Buchhandlungen weniger als 1997. Hinter dieser Statistik verbergen sich aber deutliche Verschiebungen.

Kleine Buchhandlungen ziehen in die Vorstädte

Während es in den Innenstädten zu zahlreichen Schließungen kam, gab es nach Aussage des Sprechers des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Eugen Emmerling, "in den Vorstädten eine fast revolutionäre Aufforstung mit kleineren Buchhandlungen". Diese konzentrierten sich häufig auf Literatur für Kinder, Jugendliche und Mütter. Chancen für kleine Buchhändler sieht Emmerling neben der Spezialisierung auf bestimmte Gebiete auch in der engen Zusammenarbeit mit Schulen und Universitäten.

Den Weg der radikalen Spezialisierung hat die Frankfurter Buchhandlung "Wendeltreppe" beschritten: Hier sind gut zwei Drittel der Bücher Krimis. "Ob das aber auf Dauer funktioniert, ist die Frage", meint die Mitarbeiterin Hildegard Ganßmüller. 2002 rechne sie mit einem Umsatzrückgang von fünf bis zehn Prozent. Als Reaktion auf die Flaute "wollen wir unser angeschlossenes Antiquariat stärken und damit dieses Jahr auch ins Internet gehen", ergänzt sie.

Qualität contra Quantität

Der Inhaber einer kleinen dezentralen Koblenzer Buchhandlung, Mike Hoffstadt, macht bei kleinen Buchhandlungen "eine kritische Zunahme der Selbstausbeutung" aus. "Buchhändler sind Idealisten. Manche erzählen eine Dreiviertelstunde etwas über ein Taschenbuch und kriegen dann sieben Euro dafür." Eine fundierte Beratung der Kunden im Dickicht der jährlich fast 90.000 Neuerscheinungen in Deutschland gilt als die Stärke der kleinen Buchhandlungen. Die Großen der Branche beraten weniger und arbeiten dagegen nach dem "Supermarktprinzip". dpa/(fro)