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Mehr Angst - mehr Militäreinsätze

Roman Goncharenko5. Juli 2016

Militärisch aufgeladene Medienberichte stärken die Konflikbereitschaft. So könnte auch das alte Ost-West-Denken wiederkehren. Das hat eine Studie der Universität Bamberg ergeben. Fabian Gebauer ist einer der Autoren.

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Soldaten stehen bei Brückenbaustelle während NATO Anaconda-16 Übung in Chelmno (Foto: picture-alliance/dpa/T. Zmijewski)
Soldaten aus verschiedenen Staaten bei der NATO-Übung Anaconda-16 in ChelmnoBild: picture-alliance/dpa/T. Zmijewski

DW: Als Abschreckung gegen Russland verstärkt die NATO ihre Präsenz in Osteuropa. Herr Gebauer, Sie haben für Ihre Studie ein solches Szenario untersucht und als Grundlage einen Artikel des Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" aus dem Jahr 2014 genommen, zu Beginn der Ukraine-Krise. Wie sind Sie vorgegangen?

Fabian Gebauer: Es hat uns interessiert, inwiefern Bedrohungsszenarien wieder in ein Ost-West-Denken münden können. Um das zu untersuchen, haben wir ein sogenanntes "2x2-Forschungsdesign" verwendet. Die eine Gruppe hat den Artikel mit Originalteilen bekommen, die andere den nicht militarisierten Artikel, in dem es keine bedrohliche Darstellung gab.

In einem Artikel gab es bestimmte Wörter und Grafiken mit Zahlen der Truppen und Symbolen für Kampfpanzer auf beiden Seiten, im anderen nicht. Dann haben sich diese beiden Gruppen zusätzlich entweder mit einer existenziellen Bedrohung auseinander gesetzt oder sie haben eine nicht bedrohliche Kondition erhalten. Es gab also insgesamt vier Gruppen. Am Ende mussten sie Fragen beantworten, unter anderem dazu, ob deutsche Truppen an die Ostflanke der NATO gesendet werden sollen. Es ging für uns auch um die Terror-Management-Theorie (TMT).

Was besagt diese Theorie?

Es geht darum, dass Menschen Angst vor der Vergänglichkeit haben. Um dieser Angst irgendwie entgegenzuwirken, versuchen sie Werte und Symbole zu verteidigen und zu hinterlassen, die sie selbst überleben. Oft sind es kulturelle Werte. In dieser Studie wäre das zum Beispiel das Wertesystem der NATO-Staaten als kultureller Gemeinschaft.

Fabian Gebauer, Psychologe Uni Bamberg (Foto: privat)
Psychologe Fabian Gebauer, Universität BambergBild: privat

Was ist der Hauptbefund ihrer Studie?

Wir haben herausgefunden, dass Personen, die Teile aus dem Originalartikel im Spiegel gelesen haben, eine erhöhte Bereitschaft zeigten, deutsche Truppen an die NATO-Ostgrenze zu entsenden. Es waren rund 70 Prozent. Bei denjenigen, die einen nicht militanten Artikel gelesen haben, waren es lediglich rund 30 Prozent.

Das ist ein erheblicher Effekt. Und wir haben herausgefunden, dass Bedrohungen, die in Teilen des Spiegel-Artikels beschrieben wurden, denselben Effekt erzeugen, als wenn sich Menschen in ihrer Existenz bedroht fühlen und ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst werden.

Mit anderen Worten: Wenn Menschen mit Lebensbedrohung konfrontiert werden, steigt die Akzeptanz für militärische Einsätze?

Ja, das Potenzial ist immer da. Weil das Militär unter besonderen Umständen ein Weg ist, die eigenen Werte zu verteidigen und die eigene Angst zu mindern.

Bezogen auf das Thema Ihrer Studie - Gefahr für Osteuropa durch Russland - meinen Sie, ein solches Szenario (Gefahr durch Russland für Osteuropa - Red.) gibt es nicht und es wird künstlich durch die Medien geschaffen?

Nein, ich kann nicht beurteilen, inwiefern dieses Szenario völlig real ist oder nicht. Ich als Psychologe kann nur sagen, wir hatten in der deutschen Gesellschaft wenig Bereitschaft, militärisch aktiv zu werden.

Steigt allerdings dieses konfrontative Ost-gegen-West, die Russland-gegen-NATO-Darstellung, dann sind Menschen bereit, wieder militärisch zu denken. In der Psychologie würden wir sagen, es herrscht eine Bedrohung vor, sie löst Angst aus und diese Angst muss gelöst werden - man möchte ihr mit militärischen Mitteln entgegenwirken.

Was würden Sie den Medien empfehlen?

Man muss sagen, dass "Der Spiegel" wirklich Alternativen hatte in seinem Artikel. Ich weiß aus der früheren Forschung, dass es immer wichtig ist, dass Menschen Alternativen bekommen, die nicht eindimensional auf ein Bedrohungsszenario ausgelegt sind.

Wichtig ist auch, dass Menschen Empathie, Verständnis für die andere Seite, entwickeln und erkennen, dass es nicht nur Gut gegen Böse gibt, sondern, dass es eine differenzierte Sicht gibt.

Der Hauptbefund Ihrer Studie erinnert an die Lage in Russland: In russischen Medien werden die Ukraine und der Westen als Bedrohung dargestellt. Vor diesem Hintergrund scheint die Bereitschaft in der russischen Gesellschaft für ein militärisches Engagement zu steigen. Ihre Studie legt nahe, dass man durch die Medien eine solche Stimmung verstärken kann. Stimmt das?

Ja, es ist ein Beleg dafür. Wenn das für Russland gilt, dann ist unsere Studie das Pendant auf unserer Seite. Deeskalieren könnte man, indem man Verständnis schafft: Vielleicht ist es gar nicht die generelle Intention der Menschen auf beiden Seiten, sich ständig gegenseitig zu bedrohen. Aber wenn Leute immer nur konfrontative, bedrohliche Szenarien sehen, eindimensional, ohne Alternativen, dann besteht ein höheres Potenzial dafür, militärische Muster in diesem Ost-West-Denken freizusetzen.

Das Gespräch führte Roman Goncharenko.

Fabian Gebauer ist Wissenschaftler am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie der Universität Bamberg. Seine Schwerpunkte sind politische Einstellungen und existenzielle Bedrohungen.