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Mehr Demokratie wagen?

Peter Qiu7. Februar 2003

Seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 sind politische Reformen in der Volksrepublik China ein Tabuthema. Demokratische Experimente lässt die Partei bisher nur auf dem Land zu. Ausnahme: Shenzhen.

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Autobahn Shenzhen-ShantouBild: AP

Ende der 1970er Jahre galt die Sonderwirtschaftszone Shenzhen am Rande Hongkongs als erster kühner Versuch, die Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping umzusetzen. Seitdem ist diese Stadt im wahrsten Sinne des Wortes eine Sonderzone geblieben, in der viel versucht werden darf, was in anderen Städten nicht zugelassen wird. Dies beschränkte sich bis kurz vor einem Monat vorwiegend auf den Bereich der Wirtschaft. Politische Reform waren, wie üblich, auch in Shenzhen ein Tabu.

Nach zuverlässigen Informationen wird in Shenzhen seit Dezember 2002 aber erstmals auch mit einer politischen Reform experimentiert. Die Stadtregierung plant, ihr Verwaltungssystem nach dem westlichen Modell der Gewaltenteilung zu reformieren. Die Stadtverwaltung soll prinzipiell in drei Ebenen gegliedert werden, d.h. in diejenige der politischen Entscheidung, der Ausführung der Entscheidungen und deren Kontrolle. Für die Versuchsphase sind zwei Gebiete ausgesucht worden, die ideologisch nicht als heikel gelten, nämlich die Verkehrsverwaltung und die Verwaltung von Grundstücken.

Entscheiden - ausführen - kontrollieren

Während die jeweiligen Abteilungen auf der städtischen Ebene politisch entscheiden, sind die Kollegen auf Distriktebene nur dafür zuständig, Entscheidungen auszuführen. Die politischen Entscheidungen sollen einer Kontrolle unterzogen werden, die nicht zuletzt durch Abgeordnete vorgenommen wird, die in die laufenden Verfahren eingreifen können. Die Entscheidungsträger können für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden.

Die China-Analytiker in Hongkong sehen in dieser Initiative einen vorsichtigen Versuch, nun auch im politischen Bereich neue Wege zu gehen, wenn auch zunächst nur auf der administrativen Ebene. Die Stadtregierung von Shenzhen enthält sich jeden Kommentars zu dieser Interpretation. Auch die staatlich kontrollierte Presse in Shenzhen brachte kein Wort darüber. Ein Politikwissenschaftler der Universität Shenzhen, der diesen Reformversuch mitkonzipiert hat, sagte: Es gehe nicht um eine Demokratisierung nach westlichem Modell, sondern um die Transparenz der politischen Entscheidungen.

Aufbau eines Rechtsstaats?

Ein Informant, der Zugang zur Stadtregierung von Shenzhen hat, sagte jedoch gegenüber der Deutschen Welle, dass dieser Reformversuch von Peking initiiert wurde - und dass durchaus geplant sei, dieses Modell im Erfolgsfall auf andere chinesische Städte zu übertragen. Laut Hongkonger Informationsquellen wird dieses Projekt durch Zeng Qinghong beaufsichtigt, dem engsten Mitarbeiter Jiang Zemins, der seit dem Parteitag im November auch als ständiges Mitglied im mächtigen Pekinger Politbüro sitzt.

China-Analytiker in Hongkong sehen die Reform in Shenzhen auch im Zusammenhang mit den Bemühungen des neuen Parteichefs Hu Jintao, in China schrittweise einen Rechtsstaat aufzubauen. Seit seiner Amtsübernahme vor zwei Monaten hat sich Hu bei mehreren Anlässen dafür ausgesprochen, die Verfassung der VR China aufzuwerten. Man sagt Hu Jintao auch nach, dass er sich für das Modell der europäischen Sozialdemokratie interessiert. Fest steht, dass er sich bei einem Besuch in Deutschland bereits darüber informiert hat.

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Laut Hongkonger Informationsquellen hat sich in Peking eine Gruppe von jungen Intellektuellen gebildet, die Zugang zu den Machthabern haben und diesen als Berater dienen. In diesem Zusammenhang soll eine Reihe von Konzepten entstanden sein, wie man die KP Chinas von einer ohnehin allenfalls noch auf dem Papier revolutionären Partei in eine Volkspartei umwandeln und auf staatlicher Ebene den Weg zum Rechtsstaat einschlagen könne.

Dies alles erinnert an das politische Tauwetter vor 1989, das mit der Niederschlagung der studentischen Demokratiebewegung endete. Eine Wiederholung dieser Ereignisse, bei der die Entwicklung der Parteiführung aus den Händen glitt, soll unbedingt vermieden werden. Ob dies gelingt, dürfte vom Fingerspitzengefühl der chinesischen Führung abhängen.