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Rückkehr nach 43 Jahren

2. April 2009

Mehr Einfluss für Frankreich will Präsident Sarkozy erreichen, wenn er sein Land nach mehr als 40 Jahren in die integrierte Kommandostruktur der NATO zurückführt. Kritiker fürchten das Ende einer unabhängigen Politik.

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Präsident Sarkozy gestikuliert beim Reden (Foto: AP)
Präsident Sarkozy bringt Frankreich zurück in die Kommandostruktur der NATOBild: AP

Vor 43 Jahren zog Präsident Charles de Gaulle die französischen Offiziere aus den NATO-Stäben ab. Damit zwang er das Bündnis auch, sein Hauptquartier von Paris nach Brüssel zu verlegen. Offiziell wollte de Gaulle so die Unabhängigkeit seiner Verteidigung sichern. Doch auch das Amerika-Bild des Generals habe damals eine entscheidende Rolle gespielt, sagt der frühere Staatssekretär im Bonner Verteidigungsministerium, Lothar Rühl. "De Gaulle war gegen die NATO, weil er in ihr ein amerikanisches Instrument gesehen hat."

Eine überfällige Entscheidung

Bild von Charles de Gaulle vor schwarzem Hintergrund (Foto: AP)
Der ehemalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle (undatiertes Archivbild)Bild: AP

Es waren vor allem der amerikanische Vietnamkrieg und die Gespräche, die Washington mit Moskau führte, die den General störten. Er fürchtete ein US-Protektorat über Europa und französischen Machtverlust. Für seinen Schritt ein Stück weit aus der NATO heraus erntete de Gaulle damals harsche Kritik von der linken Opposition.

Heute, bei der Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO, sind es wiederum die Sozialisten, die Kritik üben. Sie sehen die Unabhängigkeit des Landes in Gefahr. Dabei ändere sich für Frankreich wenig, glaubt Sicherheitsexperte Rühl. Denn Frankreich habe seine alte Sonderrolle schon früher aufgegeben. Die Entscheidung sei also schon lange überfällig gewesen.

Kontinuierliche Annäherung

Spätestens mit dem Ende des Ostwestkonflikts näherte sich Paris militärisch der Allianz wieder an, die sie politisch nie verlassen hatte. Die ersten Schritte unternahm der Sozialist François Mitterrand, später folgte der konservative Präsident Jacques Chirac. Heute sind französische Soldaten Teil der NATO-Truppe sowohl im Kosovo als auch in Afghanistan. Am Hindukusch ist Frankreich mit rund 2800 Soldaten derzeit der fünftgrößte Truppensteller. Sarkozys Entscheidung, in die Kommandostruktur der NATO zurückzukehren, schließt diese Entwicklung formal ab. Die Nationalversammlung hat dem Schritt zugestimmt.

Die Wahl von Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten habe Sarkozy diesen Schritt erleichtert, sagt der Direktor des Forschungsinstituts für Strategische Studien in Paris, Camille Grand. Denn in Frankreich werde die NATO häufig mit Amerika gleichgesetzt. Mit dem Ende der Bush-Ära habe sich aber in der Gesellschaft das antiamerikanische Klima abgeschwächt. Umfragen zufolge begrüßen heute mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Schritt des Präsidenten.

Französische Offiziere auf NATO-Posten

Ein afghanischer Junge blickt in die Kamera, im Hintergrund steht ein Wagen mit französischen Soldaten (Foto: AP)
Frankreich engagiert sich in der NATO-Mission in Afghanistan (Archivfoto: 2008)Bild: AP

Formal tritt die Rückkehr zum NATO-Jubiläumsgipfel (03./04.04.2009) in Kraft. In der Praxis aber vollzieht sie sich über mehrere Monate: Erst nach und nach können hunderte NATO-Posten mit französischen Offizieren besetzt werden. Dieser langsame Aufbau kommt den französischen Streitkräften entgegen, die derzeit gar nicht über genügend geeignete Kandidaten verfügen. Dabei hat das Verteidigungsministerium in Paris längst die Englischkurse für Offiziere stark ausgeweitet.

Für die Rückkehr ins Bündnis hat Frankreich zwei hohe Kommandoposten in der NATO als Gegenleistung erhalten. Im amerikanischen Norfolk soll künftig ein französischer General das "Alliierte Kommando Transformation" führen, das Zukunftskonzepte für das Bündnis erarbeitet. Außerdem rückt wahrscheinlich ein französischer Offizier an die Spitze des regionalen Hauptquartiers der NATO in Lissabon.

Sarkozy betont Unabhängigkeit der Nuklearstreitmacht

Wie genau Paris nun die neue Präsenz in den NATO-Strukturen nutzen will, ist für den Sicherheitsexperten Rühl noch völlig offen: "Wir wissen nicht, ob die Rückkehr mehr politische Symbolik oder mehr Bündnisengagement mit größeren finanziellen Konsequenzen sein soll." Klar ist allerdings, dass der französische Präsident mit der Politik seines Vorgängers gebrochen hat: Mit Berlin und Moskau hatte Chirac ein Gegenbündnis zu Washington während des Irak-Kriegs geschmiedet. Das hat in Frankreich vielen gefallen, aber für Sarkozy ist die offene Konfrontation mit Washington tabu.

Doch ganz will sich auch Präsident Sarkozy nicht von de Gaulle emanzipieren. "Die Nuklearstreitmacht Frankreichs bleibt unabhängig", betont der Präsident wohl wissend, dass de Gaulle seinen Entschluss vor vier Jahrzehnten auch mit der unabhängigen französischen Atombombe begründet hatte. Für die Praxis hat dieser letzte NATO-Vorbehalt keine wahrnehmbaren Folgen. Am Gipfel-Wochenende in Straßburg werden die nunmehr 27 NATO-Partner einen gleichberechtigten und selbstbewussten Partner in ihren Reihen begrüßen können.

Autor: Andreas Noll

Redaktion: Julia Kuckelkorn