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Mehr Kontrolle für die Verfassungsschützer

Günther Birkenstock3. Juli 2012

Der Bundesinnenminister will den Verfassungsschutz reformieren. Aber wie, ist derzeit noch unklar. Stattdessen tauchen ständig neue peinliche Fakten über Versäumnisse der Organisation auf.

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Hinter einer Broschüre stellt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch (25.04.2012) die Demografiestrategie der Bundesregierung in der Bundespressekonferenz in Berlin. Die Broschüre trägt den Titel "Jedes Alter zählt". Foto: Kay Nietfeld dpa/lbn
Bundesinnenminister Hans-Peter FriedrichBild: dapd

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Terrorgruppe NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) ist ständig mit neuen Fragen konfrontiert. Noch ist nicht geklärt, warum im vergangenen Herbst Akten geschreddert wurden, die möglicherweise darüber Aufschluss hätten geben können, wie mit Kontaktpersonen aus dem NSU-nahen Thüringer Heimatschutz zusammengearbeitet wurde. Die Tatsache, dass die Akten dem Reißwolf übergeben wurden, kam in der vergangenen Woche heraus. Am Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass der italienische Staatsschutzes AISI den deutschen Verfassungsschutz bereits im Jahr 2003 über Anschlagspläne von Neonazis informiert hatte. Am Dienstag (03.07.2012) kam hinzu, dass auch bei einem Anschlag im Jahr 2004 in Köln, bei dem 22 Menschen schwer verletzt wurden, der Bundesverfassungsschutz nicht ausreichend nachforschte.

Angesichts der Ermittlungspannen in der Neonazi-Affäre, sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, die Fehler dürften nicht ohne Konsequenzen bleiben. Nach dem vorzeitigen Ausscheiden des derzeitigen Verfassungsschutz-Präsidenten Heinz Fromm am 31. Juli werde man über Reformen beim Verfassungsschutz reden. Die Frage ist allerdings, wie diese Reform und eine stärkere Kontrolle der Arbeit der Verfassungsschützer aussehen soll.

Es muss viel mehr analysiert werden

Für den Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Spezialisten Hajo Funke, der als Gast im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages sitzt, ist derzeit noch nicht absehbar, was an Kontrolle möglich sein wird: "Auf jeden Fall aber müssen neue Strukturen aufgebaut werden, die überhaupt in der Lage sind, das Phänomen Rechtsextremismus zu erfassen. Zum Beispiel wissenschaftliche Beobachtungsstellen und unabhängige Beauftragte. Wir brauchen eine viel offenere Struktur, die tatsächlich dem Kern der Probleme, die wir mit dem Rechtsextremismus haben, analytisch zu Leibe rücken."

Der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke sitzt am Montag (08.08.2011) in seinem Arbeitszimmer in Berlin. Foto: Stephanie Pilick dpa/lbn (Zu dpa-Gespräch: "Experte: Rechtspopulisten nicht klar von Extremismus abgrenzbar" am 09.08.2011)
Rechtsextremismusforscher Hajo FunkeBild: picture-alliance/dpa

Bisher habe es zwar auch Kontrolle gegeben, etwa die Ministerien, die die jeweiligen Landes- und Bundesämter per Dienstaufsicht kontrollierten und die parlamentarischen Kontrollkommissionen, aber das habe bei weitem nicht gereicht.

Bewusstes Verdecken

Die Verfassungsschützer hätten oft allein vor sich hin gearbeitet und Hinweise übersehen oder falsch gedeutet. Unter Umständen greift die Sache noch weiter, meinte Funke im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Die Schredderei von Akten ist ein Akt der Verdeckung. Es gibt Hinweise, dass das mit Absicht geschehen ist, auch wenn wir es derzeit noch nicht genau wissen."

Fahndungsbilder der Mitglieder der rechtsextremistischen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), Fot: dapd
Mitglieder der Terrorzelle NSUBild: dapd

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth, der auch im NSU-Untersuchungsausschuss sitzt, hatte am Dienstag betont, dass in der NSU-Affäre auch rechtliche Schritte gegen den Verfassungsschutz überlegt werden müssten. Auf Nachfrage der Deutschen Welle sagte Kurth, man müsse die Zeugen auf die rechtlichen Konsequenzen ihrer Aussagen aufmerksam machen: "Ich glaube, dass es auch der Öffentlichkeit klar sein muss, dass Zeugen hier jetzt nicht einfach sagen dürfen, was sie wollen."

Einseitiger Blick hat Tradition

Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Thies Marsen glaubt nicht, dass der Verfassungsschutz reformierbar ist und plädiert für dessen Abschaffung. Die Tatsache, dass die Einrichtung vielfache Hinweise übersehen oder ignoriert hat, ist für ihn zumindest zum Teil mit der Geschichte der Institution zu erklären: "Der Verfassungsschutz ist natürlich ein Kind des Kalten Krieges, als sich zwei unversöhnliche Blöcke gegenüberstanden. Er war vor allem gegen den Osten gerichtet, gegen die DDR, gegen die echte oder vermeintliche Einflussnahme von Kommunisten. Deshalb war immer sein Auge eher nach links gerichtet". Außerdem sei bekannt, dass der Bundesverfassungsschutz zum Teil auch von Menschen aufgebaut wurde, die Nazi-Verbrecher waren, und zum Teil auch den Widerstand in den vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Ländern niedergeschlagen hätten. Natürlich sei der Verfassungsschutz von heute nicht mehr mit dem von vor 50 Jahren vergleichbar, aber: "Dieser Geist ist noch erhalten und deshalb schaut man auch heute noch eher nach links als nach rechts."

Aufklärungsarbeit könnten andere übernehmen

Thies Marsen hat vor allem die Arbeit des Verfassungsschutzes in Bayern untersucht. Dabei stellte er fest, dass sogar "zivilgesellschaftliche Vereine zu Linksextremisten erklärt wurden, weil sie sich gegen Neonazis engagieren. Einrichtungen wie zum Beispiel die AIDA, eine antifaschistische Informationsstelle in München. Die steht dann plötzlich im Verfassungsschutz-Bericht als linksextremistische Organisation." Dadurch hätten die Aufklärer ihre Gemeinnützigkeit verloren und riesige Probleme bekommen. Nach Ansicht von Marsen ist der Verfassungsschutz überflüssig. Seine Arbeit könnte von anderen übernommen werden und das passiere zum Teil auch schon, zum Beispiel von der Polizei, von der sich die Verfassungsschützer bisher deutlich abgegrenzt hätten und damit eine konstruktive Zusammenarbeit verhinderten.

Eine Gruppe Skinheads Foto: AP
Die rechte Szene war bislang zuwenig im Blick der VerfassungsschützerBild: AP