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Kein "Raum zum Atmen"

10. Oktober 2011

Nach der islamischen Revolution ist die Zahl der Suizide im Iran dramatisch gestiegen. Fehlende Zukunftsperspektiven und verschärfte staatliche Kontrollen seien die Hauptursachen, so Experten.

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Foto der iranischen Studentin Nahal Sahabi(Foto: Anonym)
Die iranische Bloggerin Nahal Sahabi nahm sich Ende September das LebenBild: privat

"Behnam, lass uns am Donnerstag wieder tanzen." Diesen Satz schrieb die iranische Studentin Nahal Sahabi in ihren Blog, bevor sie sich am Donnerstag, dem 28. September 2011, das Leben nahm. Die Nachricht war an ihren Freund Behnam Ganji gerichtet, der sich bereits Anfang September umgebracht hatte.

Sahabis Familie will zwar nicht darüber sprechen, doch vermutlich war ihre Verhaftung Ende Juli 2011 ein Auslöser für den Suizid. Sahabi und ihr Freund Behnam Ganji wurden zusammen mit dem bekannten Studentenaktivisten Kouhyar Goudarzi nach einer Hausdurchsuchung verhaftet. Über das Schicksal Kouhyar Goudarzis ist bis heute nichts bekannt. Nahal Sahabi und Behnam Ganji kamen nach ein paar Tagen wieder frei.

Behnam Ganji, iranischer Blogger (Foto: Rahesabz)
Behnam Ganji litt nach seiner Haft unter DepressionenBild: Rahesabz

Sie sprachen nie über die Einzelheiten ihrer Haft. Doch nach seiner Freilassung nahm Ganji sich das Leben. Seine Freundin Sahabi folgte ihm ein paar Wochen später.

Wie viele iranische Studenten sich jährlich das Leben nehmen, ist nicht bekannt. Laut eines offiziellen Forschungsberichts ist jedoch Selbstmord nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache unter Studenten im Iran.

Suizidgefahr höher bei jungen Iranern

Das Durchschnittsalter der Iraner, die Selbstmord begehen, sei 28 Jahre, so der Soziologe Saeed Madani. Das entspricht dem Durchschnittsalter der iranischen Bevölkerung.

Im internationalen Vergleich liegt die Suizidrate im Iran noch unter der einiger westlicher Länder. Erschreckend ist dennoch der ungewöhnliche Anstieg der Selbstmorde im Iran. Waren es in den 80er-Jahren noch 1,6 pro 100.000 Einwohner, stieg die Zahl laut iranischer Statistiken auf sechs Suizide pro 100.000 Einwohner im Jahr 2010.

Ein junger Iraner wartet auf die Wahlergebnisse (Foto: AP/Kamran Jebreili)
Wie wird seine Zukunft aussehen?Bild: AP

Besonders betroffen sei die Altersgruppe zwischen 25 bis 30 Jahren, so der Sozialforscher Saeed Madani. Madani sieht Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven als Hauptursache für Selbstmordversuche unter jungen Menschen im Iran.

Außerdem kritisiert der Sozialforscher, dass es im Iran nicht genug Spezialisten gäbe, die den jungen Menschen zur Seite stehen könnten. "Ihre Probleme werden nicht ernst genommen."

Permanente religiöse und ideologische Propaganda

Der Bildungsforscher Saeed Peiwandi sieht eine weitere zentrale Ursache für die Zunahme der Suizide: Viele iranische Studenten leiden unter Depressionen. "Das Bildungssystem lässt keinen Raum zum Atmen. Es gibt nur Verbote und permanente religiöse und ideologische Propaganda", so Peiwandi weiter. Diese Umgebung erzeuge einen enormen Druck auf die jungen Menschen. "Es macht ihnen das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon ist."

Überhaupt stehe die iranische Gesellschaft unter ständiger Überwachung, so Peiwandi. Alle müssen sich strikt an die Regeln halten, die nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2009 noch weiter verschärft wurden. Zahlreiche junge Aktivisten, die es gewagt hatten nach 2009 ihre Stimme zu erheben, sitzen immer noch im Gefängnis. Selbst wenn sie entlassen werden, dürfen viele nach ihrer Haft nicht mehr arbeiten oder studieren.

Junge Iraner bei der Aufnahmeprüfung für die Universität (Foto: DW/Roshanak Zangeneh)
Kleiderordnung und Verhalten an iranischen Universitäten werden streng kontrolliertBild: DW

Die rund fünf Millionen Studenten, die noch an iranischen Universitäten eingeschrieben sind, werden außerdem von sogenannten Sicherheitsbüros überwacht. Sie kontrollieren die Aktivitäten und das Verhalten der Studenten.

Viele junge Iraner sehen deshalb den Freitod als letzten Ausweg. Wie zum Beispiel die junge Studentin, die sich vor zwei Jahren aus dem Fenster des Sicherheitsbüros ihrer Universität stürzte. Die Sicherheitskräfte lehnten jede Verantwortung ab und behaupteten, es habe sich um eine normale Befragung gehandelt. Wie im Fall Sahabi und Ganji wird die Wahrheit wohl nie ans Licht kommen.

Autorin: Shabnam Nourian
Redaktion: Ziphora Robina