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Mehr war nicht möglich

Bernd Riegert, Brüssel12. Januar 2005

Das Europaparlament hat sich mit großer Mehrheit für die EU-Verfassung ausgesprochen. Damit sollen auch skeptische Einzelstaaten vor den Volksabstimmungen überzeugt werden. Bernd Riegert kommentiert.

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Mit seiner breiten Zustimmung zur ersten Europäischen Verfassung hat das Europa-Parlament am Mittwoch (12.1.2005) ein klares politisches Signal gegeben. Der Weg vom Staatenbund zum Bundesstaat Europa soll ein kleines Stück weiter beschritten werden. Mehr Kompetenzen werden nach Brüssel verlagert. Das Zusammenspiel der Institutionen - Rat, Kommission und Parlament - soll durchschaubarer und effektiver werden. Mehr Entscheidungen als bisher sollen mit Mehrheiten gefällt werden, wenn auch nach einem immer noch zu komplizierten Verfahren.

Parlamentarischen Einfluss nicht überbewerten

Die Verfassung ist keineswegs perfekt, aber doch das Beste, was im üblichen Gerangel der nationalen Regierungen heraus zu holen war. Es sei daran erinnert, dass die Verfassung erst beim zweiten Anlauf verabschiedet werden konnte. Der erste Verfassungsgipfel im Dezember 2003 scheiterte grandios. Der Verfassungsentwurf, den ein extra geschaffener Konvent vorgelegt hatte, ist an manchen Stellen verwässert, in einigen Passagen aber verbessert worden. Der Einfluss der Parlamentarier auf die Gestaltung sollte nicht überbewertet werden.

Skeptische Menschen

Rechtlich bindend ist die Abstimmung in Straßburg nicht, denn ratifiziert wird der Verfassungsvertrag ausschließlich von den Mitgliedsstaaten der Union. Dennoch ist es ein klares Bekenntnis der europäischen Volksvertreter zu dem begonnenen politischen Marathon-Lauf: In einigen Staaten sind die Menschen gegenüber der Verfassung und Europa sehr kritisch eingestellt - gerade auch in Ländern, in denen die Ratifizierung per Volksabstimmung erfolgen soll.

Der Ausgang der Referenden in Großbritannien, Frankreich, Polen, Dänemark und möglicherweise auch in den Niederlanden ist keineswegs sicher. Das Nein in einem der 25 Mitgliedsstaaten würde reichen, um das nach jahrelangen Verhandlungen entstandene Verfassungsprojekt scheitern zu lassen oder zumindest für lange Zeit aufzuhalten.

Uninteressierte Wahlvölker

Entscheidend ist jetzt, dass in den europäischen Staaten eine grundlegende Debatte über den Sinn der Verfassung und das europäische Projekt geführt wird. Die Abgeordneten des Europaparlaments müssen diese Debatte in ihre Länder tragen. Zu befürchten ist aber, dass das Thema die Wahlvölker nicht sonderlich interessiert oder dass über das Vehikel Europa-Referendum innenpolitische Streitereien ausgetragen werden. Der Ausgang der direkten Wahlen zum Europa-Parlament im Juni 2004 lässt nichts Gutes ahnen. Bei extrem schwacher Wahlbeteiligung konnten da vor allem euroskeptische oder EU-feindliche Parteien Sitze hinzu gewinnen. Sollte dieser Trend nicht umgekehrt werden können, sieht es für die Verfassung düster aus.

Die Deutschen werden nicht gefragt

In Deutschland wird das Parlament, wie bei völkerrechtlichen Verträgen üblich, die Ratifizierung vornehmen. Das Volk wird leider nicht gefragt. Das kann den Befürwortern der Verfassung auch nur Recht sein, denn auch in der deutschen Bevölkerung hält sich das Interesse an Europa und das Wissen um die Inhalte der Verfassung in Grenzen. Die viel beschworene europäische Identität der Bürger entsteht so allerdings nicht.

Anders als die bisherigen EU-Verträge ist die Verfassung auf Dauer angelegt. Sie wird aber nicht 100 sondern vielleicht nur zehn Jahre ohne Änderungen überdauern. Denn dann rückt ein Beitritt der Türkei näher, der eine erneute Anpassung des Regelwerks an die Wirklichkeit sicher nötig machen wird.