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Mein Berlinale-Tagebuch: der 5.Tag

14. Februar 2012

Die Berliner Filmfestspiele sind das politischste Festival der Welt. So wird es zumindest immer präsentiert. Doch, was heißt das eigentlich, fragt Jochen Kürten im fünften Teil seines Berlinale-Tagebuchs.

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Portraitbild von Jochen Kürten
Bild: DW/J.Kuerten

Die Berlinale wird ja immer gern als politisches Festival gerühmt. Da ist natürlich was dran. Vor allem, wenn man an die Konkurrenz in Cannes denkt und weiß, wie die Stars dort geradezu in Busladungen abgesetzt werden. Da kann Berlin einfach nicht mithalten. In der Februar-Kälte der deutschen Hauptstadt lässt sich nun mal nicht so gut flanieren und vor den Fotografen am Roten Teppich posieren. Und die vielen europäischen Stars, seien sie auch noch so tolle Schauspieler und Charaktere, haben es bei den Boulevardzeitungen und den Lifestyle-Magazinen im Fernsehen nun einmal schwer. Cannes setzt also auf Stars, Berlin auf Politik - so die allgemeine Meinung.

Wann ist ein Film politisch?

Doch was ist das eigentlich - ein politischer Film, frage ich mich einmal mehr am Festivalmontag. Ist ein Film politisch zu nennen, wenn er ein aktuelles Thema der Politik aufgreift? Oder, wenn er eine bestimmte Geisteshaltung vertritt? Doch wenn letzteres stimmen sollte, welche Geisteshaltung ist da erforderlich? Oder, um es noch komplizierter zu machen: Ist ein Festival etwa dann politisch zu bezeichnen, wenn es Dokumentarfilme zeigt, essayistische Streifen, Dokumente aus dem Alltag? Fragen über Fragen.

L'enfant d'en haut Wettbewerb CHE/FRA 2011 REGIE: Ursula Meier Kacey Mottet Klein, Léa Seydoux © Roger Arpajou
Szene aus "Sister"Bild: Roger Arpajou

Um es vorweg zu nehmen: Ich kann sie nicht beantworten. Auch darum nicht, weil man stets nur einen sehr, sehr kleinen Ausschnitt des sehr, sehr großen Festivals mitbekommt. Das geht allen Kollegen so, teilen kann man sich nicht.

Da ich mir vor allem das Wettbewerbsprogramm anschaue, kann ich also nur diese Sektion bewerten. Filme aus der Schweiz, den USA und aus China standen am Montag auf dem Programm. „Sister“ erzählt die Geschichte zweier Heranwachsender, die in einem Schweizer Wintersportort leben und dort versuchen über die Runden zu kommen, die junge Frau mit Gelegenheitsjobs und wechselnden Männerbekanntschaften, der 12jährige Junge vor allem mit Diebstählen.

Der US-Schauspielers Billy Bob Thornton schildert in "Jayne Mansfield’s Car" ein Familientreffen in den Südstaaten. Und Chinas Regiestar Zhang Yimou hat sich in "Die Blumen des Krieges" an eine besonders schreckliche Episode des japanisch-chinesischen Kriegs gewagt: das Massaker von Nangking von 1937, bei dem über 200.000 Chinesen von japanischen Soldaten niedergemetzelt wurden.

Wenn Inhalt und Stil nicht korrespondieren

Wenn Sie mich jetzt also fragen, ob der chinesische Film, der ja ganz dezidiert ein tatsächliches Ereignis der Zeitgeschichte behandelt, eher ein politischer Film ist als etwa der Beitrag aus der Schweiz, in dem die Regisseurin Ursula Meier eine fiktive, private Geschichte erzählt, dann ist das gar nicht so leicht zu beantworten. Und was ist mit dem Amerikaner? Da kommt eine Familie zusammen, um den Tod eine Frau zu betrauern, doch im Laufe des Films geht es vor allem um Auseinandersetzungen über die Vergangenheit des Landes. Sehr oft übrigens drehen sich die Gespräche um den 1. und 2. Weltkrieg, auch um Vietnam. Andererseits jedoch wird den Dialogen durch eingestreute humoristische Episoden, visuelle Pracht und eine typische Hollywoodsche Dramaturgie viel von ihrer Schärfe genommen.

Je mehr ich mich mit den Filmen beschäftige und sie auf die Frage abklopfe, ob es sich denn nun um einen politischen Film handelt, umso ratloser bin ich. Ist nicht der Film aus der Schweiz von eminent politischer Bedeutung, weil er sehr authentisch die Verrohung von Kindern zeigt, die selbst in einem so reichen Land voranschreitet? Und hat sich nicht der Chinese Yang Zimou mit seinem unsäglich platten Inszenierungsstil, den spekulativen Bildern und den immer wiederkehrenden Splattereffekten der Kriegsszenen um jede politische Glaubwürdigkeit gebracht?

Jin líng Shi San Chai | The Flowers Of War Wettbewerb CHN 2011 REGIE: Zhang Yimou Christian Bale Mit freundlicher Genehmigung von New Pictures Film
Szene aus "Blumen des Krieges"Bild: New Pictures Film
Szene aus dem Film "Jayne Mansfield's Car", Wettbewerb, RUS/USA 2011, REGIE: Billy Bob Thornton. Foto: Berlinale/Van Redi *** Nur zur Berichterstattung über Brerlinale 2012***
"Jayne Mansfield's Car" von Billy Bob ThorntonBild: Berlinale/Van Redi

Ist Billy Bob Thornton nun ein politischer Regisseur, weil er seine Darsteller über amerikanische Kriegseinsätze der letzten 100 Jahre diskutieren lässt oder ist er gerade kein politischer Filmemacher, weil er diese Dialoge mit einem versöhnenden, melodramatischen Schleier verdeckt.

Sinnvoll oder Selbszweck: Cinema for Peace

Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Ist das mondäne Startreffen "Cinema for Peace", das an diesem 13. Februar zelebriert wird und den Anspruch erhebt, auf Unrecht in aller Welt aufmerksam zu machen, ein starkes politisches Zeichen oder nur ein Deckmäntelchen für einen schönen Abend glamouröser Hollywoodstars an reich gedeckten Tischen? Viele Fragen - keine eindeutigen Antworten. Von mir zumindest nur die eine: Letztendlich ist es völlig egal, ob sich ein Festival als politisch bezeichnet. Wichtig ist nur eins: Die Filme müssen mich berühren mit Geschichten und Charakteren. Sie müssen glaubwürdig sein und ehrlich. Aber auch das wird bei jedem einzelnen Zuschauer natürlich anders ausfallen…

Unser Autor Jochen Kürten ist begeisterter Cineast und beobachtet seit 30 Jahren die Berlinale.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Birgit Görtz