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Mein Deutschland: Die Juristen und ihr Ruf

Zhang Danhong19. November 2015

Rechtswissenschaftler sind in Deutschland nicht sehr beliebt. Das hat verschiedene Gründe. Ein ganz entscheidender davon ist ihr Auftreten. Das hat unsere Kolumnistin Zhang Danhong dieser Tage selbst erst erlebt.

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Symbobild Richter
Bild: Fotolia/apops

Es ist Sonntag morgen. In einer beliebten Bäckerei im Viertel hat sich eine Schlange gebildet. Während ich bedient werde, höre ich eine eindringliche Frauenstimme hinter mir: "Vier belegte Brötchen. Aber schnell bitte, ich habe ein Baby im Auto." Die Mitarbeiterin entgegnet: "Ich arbeite so schnell, wie ich immer arbeite." Freundlich im Ton, aber auch deutlich, dass sie sich nicht unter Druck setzen lässt. Die resolute Kundin wird sauer: "Also das ist eine Unverschämtheit!" Dann redet sie sich in Rage: "Ich werde mich bei Ihrem Chef beschweren. Da können Sie sich darauf verlassen! Ich werde mir schon etwas einfallen lassen. Ich bin nämlich Juristin." Stille in der Bäckerei. Jeder denkt sich seinen Teil. Wer ohnehin eine eher schlechte Meinung von Juristen hat, fühlt sich in diesem Moment bestätigt.

Und mit diesem Urteil befindet man sich in bester Gesellschaft. Mit Gehässigkeiten gegen Juristen überbieten sich Prominente seit Jahrhunderten. "Die Advokaten, die Bratenwender der Gesetze, die so lange die Gesetze wenden und anwenden, bis ein Braten für sie dabei abfällt", schrieb einst Heinrich Heine. Der bayerische Schriftsteller Ludwig Thoma begann seine Erzählung "Der Vertrag" mit dem wunderbaren Satz: "Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande."

Schriftsteller Ludwig Thoma Kalenderblatt
Ludwig Thoma: Von ihm stammt das berühmte ZitatBild: dpa

Auf Belehrung spezialisiert

Warum aber werden Juristen oft zum Objekt des Spotts? Darüber hat ein Rechtswissenschaftler der Universität Passau selbstkritisch und selbstironisch philosophiert und kommt zum Schluss: Der von Natur aus besserwisserische und rechthaberische Mensch empfinde rechtliche Belehrungen, auf die die Juristen spezialisiert seien, als eine Demütigung. Von den Gedemütigten könne man keine positive Meinung über ihre Peiniger erwarten.

Vor allem die Deutschen, die besonders davon überzeugt sind, recht zu haben, haben das Prozessieren zu einem Volkssport gemacht. Streitigkeiten in der Nachbarschaft werden gerne vor Gericht ausgefochten. Da klagte 1999 eine sächsische Frau ihren Nachbarn an, weil sein Knallerbsenstrauch ihren Maschendrahtzaun beschädigt hatte. Spaßvogel Stefan Raab machte daraus einen Klamauk-Song, der 14 Wochen lang die deutsche Hitliste führte. Der eigentliche Skandal ist, dass solche Klagen vor deutschen Gerichten überhaupt zugelassen werden.

Kostspielig und frustrierend

Doch ein solcher Spaß kann sehr kostspielig werden, was bereits Wilhelm Busch zu berichten wusste: "Der Rechtsanwalt ist hochverehrlich, obwohl die Kosten oft beschwerlich." Wenn die Ausgaben nicht zum erwünschten Erfolg führen, sind auf jeden Fall die Juristen schuld - entweder der eigene Anwalt oder der Richter.

Wilhelm Busch
Wilhelm Busch: Der humoristische Dichter schuf "Max und Moritz"Bild: picture-alliance/dpa

Dass sich die Juristen hinter einer für Normalsterbliche unverständlichen Sprache verschanzen, trägt auch nicht gerade zu ihrer Beliebtheit bei. Ein Beispiel aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch: "Zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstücke, zur Belastung eines Grundstücks mit einem Rechte sowie zur Übertragung oder Belastung eines solchen Rechtes ist die Einigung des Berechtigten und des anderen Teiles über den Eintritt der Rechtsänderung und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt." In normales Deutsch übersetzt heißt es: Wer ein Grundstück erwirbt, muss sich ins Grundbuch eintragen lassen.

Alles eine Auslegungssache

Die Beherrschung ihrer Fachsprache verschafft Juristen so viel Respekt gegenüber Laien, dass sie nicht daran denken, die Texte verständlicher zu formulieren. Das Juristendeutsch bringt dem Fachmann noch einen anderen Vorteil: Er kann das Gesetz drehen und wenden, bis dem Laien schwindelig wird. "Die Phantasie trainiert man am besten durch juristische Studien. Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie ein Jurist die Wirklichkeit", schrieb der Franzose Jean Giraudoux in einem Theaterstück und tröstete damit die Deutschen, dass sie mit ihrem Frust über die Juristen nicht allein sind.

Zhang Danhong Kommentarbild App
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Die Auslegung der Gesetze ist wahrhaftig ein Privileg, auf das man sich etwas einbilden kann. "Von den Akademikern beanspruchen die Juristen den ersten Rang, und niemand ist so eingebildet wie sie", urteilte der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam hart. Natürlich kann man die Juristen nicht über einen Kamm scheren. Zu den Eingebildeten in der Zunft zählt aber unsere Kundin in der Bäckerei eindeutig. Übrigens hat sie ihre Aufsichtspflicht verletzt, als sie das Baby allein im Auto gelassen hat. Das hätte sie als Juristin eigentlich wissen müssen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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