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Ein Deutscher, der China lieben gelernt hat

Zhang Danhong3. März 2016

Kann man als Deutscher ein Land mögen, in dem es keine freien Wahlen, keine freie Presse und keine saubere Luft gibt? Man kann. Und ein Buch darüber schreiben, das Zhang Danhong nicht nur einmal zum Lachen gebracht hat.

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Kolumne Zhang Hänke
Bild: Sven Hänke

Nach dem Studium in Deutschland gefiel Sven Hänke der Gedanke ganz und gar nicht, sich für eine Promotion "für die nächsten Jahre hinter Bücherstapeln vor der Welt zu verstecken". Lieber wollte er in die weite Welt hinaus und Abenteuer erleben. "Aber deswegen arbeitet man doch nicht gleich für einen Unrechtsstaat! Oder doch?" Also nahm er eine Lektorenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an und ging für ein Jahr nach China (daraus sind sechs Jahre geworden). Die erste Station hieß Tianjin, eine Zwölf-Millionen-Hafenstadt südöstlich von Peking.

"Tianjin war eine Baustelle. Die Luft war staubig", das war sein erster Eindruck von der Stadt. "Während ich zum ersten Mal durch die vierspurigen Straßen fuhr und die scheinbar endlosen Reihen liebloser Wolkenkratzerplattenbauten an mir vorüberzogen, dachte ich nur eins: 'Wie soll ich das hier aushalten?'"

Die Kulturschocks wollten nicht enden. "Das Zeug, das die Chinesen Brot und Kuchen nannten, war gleichermaßen ungenießbar und für westliche Zungen eigentlich nur unter örtlicher Betäubung sämtlicher Geschmacksnerven zu ertragen." Gegrillte Kriechtiere gab es noch (oder bereits) um fünf Uhr morgens. (Was machte Sven Hänke eigentlich um diese Uhrzeit auf der Straße?) Sehr irritierend waren für ihn die authentischen chinesischen Rotzgeräusche: "Jedes Mal, wenn jemand erst grunzende Laute von sich gab, um danach ein glibberiges Etwas auf die Straße zu flatschen, wurde mir ganz anders." Ganz zu schweigen von den öffentlichen Toiletten in den engen Gassen (Hutong). Für zartbesaitete Europäer könnte der Besuch eines solchen stillen Örtchens zu einem traumatischen Erlebnis werden (das sagt nicht Sven Hänke, sondern die Kolumnistin).

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DW-Redakteurin Zhang Danhong

Der mit den Verkäuferinnen tanzt

Die Sprachbarrieren machten das Leben zusätzlich schwer. Wie sollte er den Verkäuferinnen in einem Supermarkt verständlich machen, dass er auf der Suche nach Honig war? "Ich streckte meine Arme auf Schulterhöhe zur Seite aus, schlug damit und summte ein wenig. Dabei tänzelte ich um das Sojasoßenregal." Als der Erfolg ausblieb, versuchte er es mit dem honigliebenden Bär: "Ich nahm ein imaginäres Honigglas, steckte einen Finger hinein, schleckte ihn ab und streichelte zufrieden meinen Bauch." Die Verkäuferinnenschar zog sich zur Beratung zurück und brachte ihm dann hintereinander ein Pflaster für den Finger, Lippenbalsam und eine Tüte Wäscheklammern.

Ein Germanistikstudent rettete ihn schließlich aus der verzweifelten Lage und gab dem Deutschlehrer von nun an den Spitznamen "Der mit den Verkäuferinnen tanzt".

Es waren Chinesen, die ihn über das Heimweh hinwegretteten. "Ursprünglich hatte ich angenommen, der gemeine Chinese habe ein zurückhaltendes und scheues Wesen. Es zeigte sich schnell das Gegenteil." Sie singen auch mal laut vor sich hin - ohne Rücksicht auf Verluste - und sind "auf eine sympathische Weise rumpelig".

Seelenverwandte Nationen?

Sven Hänke entdeckte Parallelen zwischen China und Deutschland: "Beide sind sehr vernunftorientierte Gesellschaften mit einer jeweils anderen Tradition. Aber Konfuzius und Kant sind gar nicht so weit voneinander entfernt", sagt mir Hänke im Interview.

Ob die Liebe beider Länder zur Bürokratie in diesem Vernunftdenken begründet ist? Während es in Deutschland auf die Vollständigkeit der Unterlagen ankommt, ist es in China die Anzahl der roten Stempel. Der Stempel sei eine Besonderheit des typisch chinesischen Formalitätenfetischismus, schreibt Hänke in seinem Buch: "Unbedingt rot muss er sein. Bis man einen bekommt, kann es dauern."

Kolumne Zhang Hänke
Ein Buch, das einen herzlich lachen lässtBild: rowohlt Berlin

Auch die Leidenschaft für den deutschen Fußball eint beide Nationen. Da denken die Chinesen ganz pragmatisch: Da unsere Mannschaft unterirdisch spielt, sympathisieren wir einfach mit den Stärksten. Während sich die meisten Deutschen für den besseren Bundestrainer halten, glänzen die Chinesen mit Detailwissen. So kann der chinesische Student, der Sven Hänke einst den ersehnten Honig brachte, sämtliche Stadien in Deutschland nennen, in denen die WM stattgefunden hat, samt Anzahl der Sitzplätze.

Faszination Chinesisch

In China hat Sven Hänke eine andere Leidenschaft entwickelt: Die Leidenschaft für die chinesische Sprache - "einen kulturellen Da-Vinci-Code" oder "ein metaphorisches Mekka". "Die Geliebte eines Mannes wird als 'zweite Brust' bezeichnet. Der Geliebte einer verheirateten Frau hingegen ist das 'kleine Weißgesicht'." Wie einleuchtend die Namen einiger Körperteile sind! "Die Wade wird als 'Beinbauch' bezeichnet, der Kopf ist eine 'Gehirntüte'. Und wie könnte man den menschlichen Hintern besser beschreiben als mit dem schönen Wort 'Furzschenkel'?" Die bildlichen Zeichen sind für ihn zu einer reinen Quelle der Freude geworden: "Wie genial war es, dass die Chinesen dem Rest der Welt nicht nur die Piktogramme für konkav 凹 und für konvex 凸 schenkten, sondern gleich noch die Voraussetzungen für Millionen und Abermillionen zufriedener Tetris-Spieler schufen."

"Die chinesische Sprache ist wie eine schöne Frau, man muss sein ganzes Leben etwas dafür tun, damit sie bei einem bleibt", resümiert er. Das Herz seiner schönen Frau gewann er übrigens durch ein kulturelles Missverständnis. Sven Hänke bat seine ehemalige Studentin Dingding, ihn und seine Eltern auf einer Reise nach Südchina zu begleiten. Sie nahm die Organisation in die Hand und bestellte für die ganze Reise zwei Doppelzimmer. "Holla, die Waldfee, dachte ich. Das ist ja mal eine Ansage." Er trug wie selbstverständlich ihre und seine Koffer in ein Zimmer. Dabei handelte Dingding bloß nach der chinesischen Gepflogenheit: Ein Zimmer für die Frauen, eins für die Männer.

Hochzeit ohne alles

Bleibt nur die Frage: Warum heißt sein Buch "Nackte Hochzeit"? Nein, die Chinesen heiraten nicht unbekleidet. Eine Eheschließung wird als eine solche bezeichnet, wenn der Bräutigam weder ein Auto noch eine Wohnung sein eigen nennt. Eine Heirat allein der Liebe wegen, die in China anscheinend aus der Mode gekommen ist.

Kolumne Zhang Hänke
Der "nackte" Bräutigam und seine glückliche BrautBild: S. Hänke

Inzwischen hat sich das Ehepaar in Berlin niedergelassen. Nun ist seine Frau an der Reihe, Kulturschocks zu verkraften. Zum Beispiel die gemischte Sauna, die es in China nicht gibt. "Aber Dingding ist eine starke und mutige Frau. Sie überwand sich, so wie ich mich das erste Mal beim Betreten einer Hutong-Toilette überwunden hatte. Der Gesichtsausdruck war der gleiche", schreibt Hänke.

Mut ist sicherlich eine der notwendigen Voraussetzungen, um eine fremde Kultur umarmen zu können. Humor kann auch nie schaden. "Manchmal ist es ganz gut, wenn man denkt: Das ist verrückt; und nicht: Das ist jetzt doof", lautet sein Rat. Für die zahlreichen Sinophobiker in Deutschland hat der Dozent und Autor einen speziellen Tipp: "Geht nach China!" Und die Kolumnistin empfiehlt die Lektüre von "Nackte Hochzeit" als ideale Reisevorbereitung.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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