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Mein Deutschland: Falsch verstandene Rücksichtnahme

Zhang Danhong Kommentarbild App
Danhong Zhang
11. Februar 2016

Die vermeintlich gut gemeinten Vorschläge zur besseren Integration von Flüchtlingen in Deutschland mehren sich. Unsere Kolumnistin Zhang Danhong, die selbst Migrantin ist, findet sie indessen wenig hilfreich.

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Symbolbild Einwanderung Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/Marcus Brandt

Das chinesische Neujahrsfest und der rheinische Karneval fallen in der Regel zusammen, weil sich beide Feste nach dem Mondkalender richten. Je nach Blickwinkel ist es für meine Familie ein kostümiertes Frühlingsfest oder ein frühlingsfestlicher Karneval. Beides ist für mich wichtig - die Pflege des deutschen Brauchtums genauso wie der chinesischen Tradition.

Meinen Kindern fällt der Verzehr chinesischer Festessen leichter als das Erlernen der zahllosen Schriftzeichen. Aber darauf bestehe ich ebenfalls. Ansonsten dominiert bei uns die deutsche beziehungsweise die abendländische Kultur. Gerade wird "Die Bürgschaft" von Schiller auswendiggelernt; musiziert wird Chopin; Franz Marc ist unser aller Lieblingsmaler; am Ostersonntag wird nach bunten Eiern gesucht; in der Adventszeit werden Plätzchen gebacken. Zwar trug mich der Integrationswille nicht so weit, den christlichen Glauben anzunehmen. Aber den Kindern steht die Tür offen.

Alles in allem sind sie deutsche Heranwachsende, nur mit dem zusätzlichen Privileg ausgestattet, Chinesisch mit der Muttermilch aufgesogen zu haben und sich in der fernöstlichen Kultur ebenfalls zu Hause zu fühlen.

Einiges war gewöhnungsbedürftig

Mich hat die ständige Begegnung mit der deutschen Kultur ebefalls bereichert, obwohl mir am Anfang manches fremd war. Dazu zählten der körperliche Kontakt bei der Begrüßung oder die gemischte Sauna. Aber dann sagte ich mir: Stell Dich nicht so an, du lebst eben nicht mehr in China. Ein chinesisches Sprichwort sagt: "In ein anderes Land kommen, andere Sitten annehmen" (入乡随俗). Niemals hätte ich erwartet, dass die Deutschen Abstriche von ihrer Kultur oder ihren Gewohnheiten machen, um uns Ausländer auf der halben Strecke zu treffen.

Aber offenbar denken manche gut meinenden Deutschen, dass wir Migranten das erwarten. Wie sonst kann man solche Vorschläge interpretieren, Sankt Martin in Laternenfest umzubenennen oder auf Weihnachtsfeiern nicht mehr den Nikolaus auftreten zu lassen, um nicht-christliche Flüchtlinge nicht vor den Kopf zu stoßen? Ich kann es mir nicht vorstellen, dass der freundliche Weihnachtsmann die syrischen Kinder verwirrt. Eher dürfte der personifizierte Frieden eine willkommene Abwechslung sein.

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DW-Redakteurin Zhang Danhong

Der Zugewanderte hat eine Bringschuld

Die selbsternannten Flüchtlingsversteher wollen manches Deutsche verbannen, damit die Neuankömmlinge so wenig wie möglich das Gefühl bekommen, mit einer fremden Religion oder einer anderen Kultur konfrontiert zu werden. Das ist falsch verstandene Rücksichtnahme. Wenn ich in ein fremdes Land gehe, rechne ich nicht damit, dass es genauso abläuft wie in meiner Heimat. Wenn ich bleiben darf, habe ich eine Bringschuld. Ich muss die Sprache des Gastlandes lernen und die Regeln beachten.

Dabei gibt es weiche und harte Regeln. Zu den ersten gehört hierzulande, dass man beim Essen nicht laut schmatzt. Manche Chinesen mögen darin eine Einschränkung der Ausdrucksmöglichkeiten ihres Wohlbefindens sehen. Wenn sie die bösen Blicke der Deutschen aushalten, können sie auch geräuschvoll essen. Sie machen sich nicht strafbar. Zu der zweiten Sorte von Regeln zählt, dass Frauen nicht gegen ihren Willen berührt werden dürfen, selbst wenn sie nur leicht bekleidet sind. Nicht hilfreich sind Ratschläge an junge Mädchen, sich anders anzuziehen, oder einen anderen Schulweg zu nehmen, um Flüchtlinge nicht zu provozieren, wie es ein Bürgermeister jüngst empfohlen hat.

Deutschland Flüchtlinge Stadt Hardheim Benimmregeln
Flüchtlinge studieren BenimmregelnBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Wie weit soll es noch gehen?

Inzwischen hat ganz offenbar ein Ideenwettbewerb der Selbstverleugnung begonnen: Regelmäßig werden in der öffentlichen Debatte weitere christliche Feiertage zur Disposition gestellt; ein Professor macht sich für eine neue Schulform zur Integration von Flüchtlingskindern stark, bei der Englisch die gemeinsame Schulsprache sein soll. So würden sich deutsche und arabische Kinder einander quasi auf Augenhöhe begegnen.

In einer Zeit, in der die Bundeskanzlerin die Flüchtlinge mal als Neubürger begrüßt, mal nur für drei Jahre dulden will, in der sich viele Bürger verunsichert fühlen, gießen solche Vorschläge Öl ins Feuer einer gesellschaftlich extrem aufgeheizten Stimmung.

In keinem anderen Land wird so laut darüber nachgedacht, sich selber zu ändern, um für die Fremden nicht allzu fremd zu wirken. Schnell wird man in die ausländerfeindliche Ecke gestellt, wenn man nur das Selbstverständlichste von den Neuankömmlingen verlangt, wie zum Beispiel Deutsch zu lernen, das Grundgesetz zu achten und einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.

Toleranz und Verständnis bedeutet nicht Selbstaufgabe

Als Migrantin möchte ich meinen deutschen Mitbürgern zurufen: Selbstaufgabe ist falsch verstandene Willkommenskultur. Zur echten Willkommenskultur gehört, dass man Verständnis für das Unwissen der Ausländer in Sachen deutscher Sitten aufbringt und Toleranz zeigt, wenn sie mal ins Fettnäpfchen treten; dass man andere Essgewohnheiten berücksichtigt, ohne gleich die eigenen anpassen zu wollen. Dass es inzwischen Moscheen oder Grabstätten für Buddhisten gibt, zeigt die Größe der Deutschen. Aber die eigenen christlichen und kulturellen Wurzeln über Bord werfen, das kann keiner erwarten.

Es wäre zu schade, wenn am Ende auch noch Karneval verschwinden würde. Das schönste Karnevalserlebnis in diesem Jahr war für mich, wie ein muslimisches Mädchen die närrische Sitzung an der Schule meiner Tochter souverän und mit voller Überzeugung moderierte.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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