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Mein Deutschland: Fitnessstudios und offene Grenzen

Zhang Danhong14. Juli 2016

In Fitnessstudios gelten ganz klare Prinzipien. Ebenso in Eigentümergemeinschaften. Und was haben diese mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu tun? Eine Menge, meint unsere Kolumnistin Zhang Danhong.

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Österreich Flüchtlinge bei Mistlberg an der Grenze zu Deutschland
Bild: Getty Images/S. Gallup

Dass Fitness meine neue Leidenschaft ist, habe ich Ihnen an einer anderen Stelle erzählt. Ich zahle einen monatlichen Beitrag, um in einem großen Fitnessstudio bei uns um die Ecke allein oder in Gruppen, an Geräten oder mit Hantel schwitzen zu dürfen. Die Räume und die Ausstattung werden als sogenannte Clubgüter von uns Mitgliedern genutzt. Da nur zahlende Mitglieder Zutritt haben, herrscht nur eine geringe Rivalität unter uns. Es sei denn, es ist Samstagvormittag: Da wollen alle schnell ein paar hundert Kalorien loswerden, um anschließend mit gutem Gewissen zu schlemmen. Da wird es eng und die Luft stickig. Die Qualität der Clubgüter-Nutzung sinkt mit der steigenden Anzahl der Nutzer. Und die Rivalität untereinander nimmt zu.

Das trifft natürlich nicht auf meine Nachbarin Inka und mich zu. Wir gehen oft gemeinsam zum Fitness und teilen Freud und Leid beim Fettverbrennen. Auch unsere Kinder verstehen sich so gut, dass inzwischen auch die Kinderbetten in unseren Wohnungen oder der Platz am Esstisch den Charakter von "Clubgütern" angenommen haben. Diese Praxis der offenen Tür wird auch zwischen anderen Familien in unserem Haus gepflegt. Unsere Eigentümergemeinschaft ist wie eine Miniatur des Schengen-Raums.

Zhang Danhong Kommentarbild App
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Damit unser harmonisches Zusammenleben ungetrübt bleibt, achten wir darauf, dass die "Außengrenzen" gesichert werden. Die zwei Haustüren, die Kellertür und das Garagentor müssen immer geschlossen sein. Wenn eine Familie ohne Absprache mit den anderen alle Türen öffnen und Fremden somit unsere Clubgüter zur Verfügung stellen würde, bekäme sie Ärger mit allen.

Deutschland hat die Nachbarn überrumpelt

Genau das hat Deutschland im Herbst 2015 getan. In einem Akt voller guter Absichten wurden die Einreisekontrollen kurzerhand abgeschafft: Hunderttausende Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge sowie viele Trittbrettfahrer (darunter erwiesenermaßen auch Kriminelle und Terroristen) strömten herein. Das Schengen-Abkommen und das deutsche Asylrecht wurden temporär außer Kraft gesetzt. Dass die Nachbarn seitdem nicht gut auf Deutschland zu sprechen sind, ist verständlich. Die Wut der Österreicher bekam ich im Urlaub sogar als chinesischstämmige Deutsche zu spüren. "Wenn Ihr eine Insel wärt, könnt Ihr so viele einladen wie Ihr wollt. Aber das seid Ihr nicht", sagte mir eine Hotelangestellte. Ich musste ihr Recht geben.

Den humanitären Aspekt lasse ich heute weg und bleibe bei dem Begriff der Clubgüter. Laut Ökonom Hans-Werner Sinn ist auch der Staat "ein Club, der die kollektiven Güter verwaltet", wie Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen usw. Dieses kollektive Eigentum steht nicht zur freien Disposition und muss daher geschützt werden. "Nur wenn Zäune da sind, kann eine friedliche, offene, liberale Gesellschaft existieren", sagte der ehemalige ifo-Präsident vor kurzem in einem Vortrag.

Hans-Werner Sinn
Top-Ökonom Hans-Werner SinnBild: ifo Institut

Zäune und Freiheit gehören zusammen

Zäune und Freiheit sind also die zwei Seiten derselben Medaille. Das gilt sowohl für unsere Hausgemeinschaft als auch für den Staat. Das ist vielen Verfechtern der Willkommenskultur nicht klar. Immer wieder hört man den Spruch: "Eine offene Gesellschaft braucht offene Grenzen." Nur semantisch hätte der Satz eine gewisse Logik, ökonomisch aber keine, meint Hans-Werner Sinn.

Zäune im übertragenen Sinne sind nicht nur Garant für eine funktionierende Marktwirtschaft, sie sind auch unentbehrlich für eine Demokratie. "Auch ein moderner und integrationsbereiter Verfassungsstaat braucht wirksame Grenzkontrollen", sagt mir Udo Di Fabio im Interview. Das sei kein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, sondern schlicht eine Funktionsvoraussetzung für die Demokratie, so der ehemalige Verfassungsrichter. Der Bund sei zuständig für eine wirksame Grenzkontrolle und zwar im europäischen Konzert.

Deutschland Prof. Udo Di Fabio
Top-Jurist Udo Di FabioBild: DW/Z. Danhong

Eine naive Vorstellung

Das hat die Bundesregierung eine ganze Weile versäumt und fordert nun von den europäischen Partnern, die Folgen mitzutragen. "Wenn Sie die eine Million Flüchtlinge, die wir derzeit haben, unter den 28 Mitgliedsstaaten mit seinen 500 Millionen Einwohnern verteilen, dann verursacht das überhaupt keine Probleme", sagte neulich der Präsident des Europa-Parlaments, Martin Schulz, in einem Interview. Und vor ihm äußersten sich auch schon andere deutsche Politiker in genau diesem Sinne.

Das Problem liegt nicht nur darin, dass sich einige Nachbarn auf stur stellen, sondern dass sich auch viele Flüchtlinge gar nicht verteilen lassen wollen. Sie möchten in die wenigen Metropolen und Regionen Europas ziehen, in denen bereits Verwandte leben oder sie auf gute Jobchancen hoffen. Das bedeutet, dass wir in unseren Großstädten nicht nur mit verstärkten Konflikten kultureller und religiöser Art rechnen, sondern auch uns auf sinkende Qualität unserer Clubgüter durch mehr Nutzer einstellen müssen. So wie in meinem Fitnessstudio an einem Samstagvormittag.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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