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Politik

Angst vor deutschem Nichtstun

Bartosz T. Wielinski
17. März 2018

Seit der Machübernahme der PiS entfremdet sich Polen zunehmend von Europa. Durch die Schwäche der EU wird das begünstigt. Sie zu stärken, sollte eine Priorität der neuen Regierung Merkel sein, meint Bartosz Wielinski.

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Bartosz Wielinsk
Bild: Privat

In November 2011 hat Radosław Sikorski, damals Außenminister Polens, etwas ausgesprochen, das aufhorchen ließ. In seiner berühmten Berlin-Rede sagte er, dass er in der Europapolitik weitaus größere Angst vor deutschem Nichtstun als vor deutschem Tatendrang habe. Sieben Jahre später, mitten im politischen Kampf um das Überleben eines vereinten Europa, gewinnen die Worte Sikorskis immer mehr an Bedeutung: Der Erhalt der europäischen Einheit und die Stärkung der EU gehören zu den wichtigsten Aufgaben der vierten Regierung von Angela Merkel. Ein anhaltendes deutsches Zögern hätte schlimme Folgen.

Die national-konservative Regierung in Polen wird meiner Einschätzung sicherlich widersprechen. Seit der Machtübernahme der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entfremdet sich mein Land von Europa - und zwar deutlich. Es ist ein konsequenter Prozess: Eingeschränkt werden die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit, die Bürgerrechte. Die Justiz in Polen, vom Amtsgericht bis zum Verfassungsgericht, steht unter Kontrolle der Regierenden, die Medien beschäftigen sich ausschließlich mit PiS-Propaganda. Eine solche Regierung hat kein Interesse an einer Verstärkung Europas und wird viel tun, um sie zu verhindern. Für die National-Konservativen soll sich die EU auf eine Gemeinschaft souveräner Staaten reduzieren. Dazu soll die Rolle der europäischen Institutionen geschmälert werden, damit sie sich in Zukunft nicht mehr mit Fragen möglicher Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten beschäftigen kann. Kurz: Einmischung verboten!

Alte Spaltung feiert Wiederauferstehung

Diese Vorstellung von Europa gefällt nicht nur in Polen. Victor Orban, der starke Mann aus Ungarn, teilt diese Auffassung. Auch Politiker aus Rumänien und Bulgarien, die mehrmals von Brüssel wegen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit oder Korruption gerügt wurden, möchten sich gerne von der EU-Aufsicht befreien. Und wenn man auf die Aussagen des tschechischen Präsidenten Zeman achtet, der die öffentlichen Medien ebenfalls auf regierungsamtlichen Kurs bringen will, dann besteht kein Zweifel, dass Tschechien das nächste Land sein wird, das Europa den Rücken zukehrt.

Treffen der Vorstände von Sejm und Bundestag in Dresden
Radoslaw Sikorski sah die West-Ost-Spaltung überwundenBild: DW/R. Romaniec

Als Sikorski im Herbst 2011 den Deutschen das Nichtstun in Europa vorhielt, versuchte er sie auf provokante Weise für ein größeres Engagement in Europa zu ermutigen. Diese Aussage war damals eine Überraschung, weil ein wichtiger Politiker des Landes, das während des Zweiten Weltkriegs soviel unter den Deutschen gelitten hatte, deutlich machte, dass es beim östlichen Nachbarn keine Angst mehr vor Deutschland und den Deutschen gebe. Die Worte Sikorskis wurden zu Recht als Beleg für die endgültige Überwindung der West-Ost-Spaltung gesehen.

Der national motivierte Populismus im Osten Europas bedeutet aber, dass die alte Spaltung eine Wiederauferstehung feiert. Ein Teil  Osteuropas, Polen vorneweg, stellt sich mit seiner Politik in immer krasseren Gegensatz zu europäischen Werten. Dazu kommt, dass im Westen eine alte These wieder aufgewärmt wird, die da heißt: Die Aufnahme von Polen, Ungarn oder Bulgarien sei keine gute Entscheidung gewesen - jedenfalls nicht zum damaligen Zeitpunkt. Ein Teil der Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Reform der EU kann als Versuch verstanden werden, einen Klub der Elitären innerhalb der EU zu gründen. Die anderen wären dann die, die den Euro noch nicht übernommen haben.

Europa sichtbar stärken

Die Populismen blühen, weil Europa zu schwach ist. Es war nicht imstande, weder die Migrationskrise zu meistern, noch den Respekt der EU-Werte in östlichen Mitgliedstaaten zu erzwingen. Die einzige Lösung besteht darin, Europa sichtbar zu stärken. Das ist eine Aufgabe, die ohne Beteiligung der Deutschen nicht gelingen kann. 

Emmanuel Macron
Osten befürchtet, dass Macron einen Klub der Elitären innerhalb der EU gründen willBild: picture-alliance/AP Photo/L. Marin

Angela Merkel darf nicht zulassen, dass diese Spaltung noch tiefer wird. Das diplomatische Geschick der Kanzlerin wird gebraucht, um die westlichen Nachbarn zu überzeugen, dass Europa beispielsweise ohne Polen schwächer wäre. Aber Polen muss endlich klar und öffentlich gesagt werden, dass der Demokratieabbau dem Land nur immensen Schaden bringt. Und wenn in Warschau weiterhin ein semi-autoritärer Politikstil betrieben wird, muss die Bundeskanzlerin den Mut finden, dem Einhalt zu gebieten. Die EU muss dann gegenüber Warschau auf die Bremse treten. Die offen tolerierte Verachtung des EU-Konsenses schadet schon jetzt der ganzen Gemeinschaft. Wenn Polen das nicht versteht, muss es mit Konsequenzen rechnen.

Ein Polen, das vom demokratischen Pfad abdriftet, ist beileibe nicht das einzige Problem Europas. Nach dem Schock des Brexit-Votums scheint nur eine Flucht nach vorne zu helfen. Die europäische Integration muss vertieft werden. Angela Merkel in ihrer letzten Kanzlerschaft muss das Thema angehen. Paradoxerweise befinden wir uns in einer günstigen Lage. Der Druck auf Europa wächst von allen  Seiten. Donald Trump droht uns mit Handelskrieg, Vladimir Putin mit seinen Raketen und Panzern. Dazu kommen die türkischen Drohungen von Seiten Erdogans. Genau unter diesem Druck kann etwas Gutes entstehen - vorausgesetzt, Angela Merkel hat den Mut das Thema anzugehen. Wie Sikorski vor sieben Jahren schon sagte: Angst muss man nur vor deutschem Nichtstun haben.

Bartosz T. Wielinski ist Leiter der außenpolitischen Abteilung der "Gazeta Wyborcza", der wichtigsten Tageszeitung Polens