"Mein Film zeigt das echte Nairobi" | Regionen | DW | 12.10.2012
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Regionen

"Mein Film zeigt das echte Nairobi"

Sein erster Job am Set: Kaffee kochen. Doch Tosh Gitonga hat sich zum Regisseur hochgearbeitet. "Nairobi Half Life" ist sein erster Film - und ein Kassenrenner in Kenia. Jetzt startet die Kinotour in Deutschland.

Tosh Gitonga ist nervös - wie vor jeder Premiere. Dabei hat sein erster Kinofilm "Nairobi Half Life" schon zwei Premieren hinter sich: die Weltpremiere beim Durban Film Festival, bei der sein Hauptdarsteller gleich einen Preis abräumte, und die Premiere in Kenia. Jetzt steht Berlin an. "Ich bin so gespannt, wie mein Film dem deutschen Publikum gefallen wird."

Der aufstrebende Schauspieler Mwas (Mitte) ist der Streetgang von Oti (2. von Rechts) beigetreten (Copyright: One Fine Day Films).

"Nairobi Half Life": Mwas und seine Straßengang

Bei dem Interview einen Tag vor der Premiere in einem Berliner Hotel hatte sich Tosh Gitonga noch nicht träumen lassen, dass die Vorstellung restlos ausverkauft sein würde. Auch von dem Blitzlichtgewitter der Pressefotografen hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung. Aber "Nairobi Half Life" hat bekannte und geschätzte Mentoren: Regisseur Tom Tykwer und seine Frau Marie Steinmann, die Gründer von One Fine Day Films. Gemeinsam mit der DW Akademie bieten sie Filmworkshops in Kenia an und geben den talentiertesten unter den Teilnehmern die Chance, einen Kinofilm zu drehen.

Tosh Gitonga war einer der über 50 Teilnehmer des Workshops. Gemeinsam mit anderen afrikanischen Nachwuchs-Regisseuren saß er in der zweiwöchigen Meister-Klasse. Doch wer von ihnen würde der Regisseur der darauffolgenden Produktion sein?


Tosh Gitonga ist Regisseur des Filmes Nairobi Half Life, hier mit Rom Tykwer beim Dreh (Foto: One Fine Day Films).

Dreharbeiten mit Tom Tykwer

Wie war das für Sie, als Sie erfuhren, dass Sie der Regisseur von "Nairobi Half Life" sein werden?

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie wir uns alle in der Klasse ganz genau gegenseitig beobachtet haben. Immer wenn Tom in den Seminarraum kam und sich unsere Kurzfilmübungen angesehen hat, waren wir fast wie erstarrt vor Schreck. Der Workshop endete an einem Freitag. Am Sonntag rief mich Tom Tykwer persönlich an und sagte mir, dass sie sich für mich entschieden hätten. Ich war natürlich überglücklich. Meine Nachbarn dachten schon, ich wäre irgendwie verrückt geworden, so sehr gefreut habe ich mich.


Sie sind schon seit über zehn Jahren im Filmgeschäft - was konnten Sie in dem Workshop lernen?

Durch den Workshop haben wir zum ersten Mal die Chance gehabt, selbst am Steuer zu sitzen. Als Tom nach Kenia kam, war er anfangs recht überrascht, dass wir nicht ganz grün hinter den Ohren sind und durchaus Ahnung vom Filmemachen haben. Aber wir haben keine Infrastruktur und keine Plattform, um unsere eigenen Filme zu machen und unsere Visionen zu verwirklichen. Uns fehlt auch die Erfahrung der vollständigen Produktion, vom Dreh bis hin zur Nachbearbeitung und Vertrieb. Jetzt nach dem Workshop sind wir alle viel selbstbewusster, können besser Entscheidungen treffen und gezielt unsere jeweiligen Abteilungen leiten.


Wie war die Zusammenarbeit mit Tom Tykwer?

Das wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, war, was es bedeutet, der Chef auf einem Dreh zu sein. Er hat mir immer gesagt: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Also hat er mir beigebracht, was es wirklich bedeutet ein Regisseur zu sein, wie man führt. Das hat mir sehr geholfen, und dadurch kann ich meine Kreativität jetzt auch besser entfalten. Vorher habe ich mich oft total verzettelt. Aber jetzt versteht mich meine Crew viel besser und das Arbeitsverhältnis ist dadurch auch viel angenehmer und einfacher geworden. Als ich Tom kennenlernte, war ich schon sehr eingeschüchtert. Aber er ist ein sehr umgänglicher, entspannter Mensch - und wir verstehen einander. Er war da, als ich gedreht habe und hat mich sehr unterstützt. Wir sind wirklich Freunde geworden und ich freue mich immer sehr, wenn ich ihn sehe. Aber manchmal, wenn er den Raum verlässt, denke ich immer noch: Wow, das war gerade Tom Tykwer, der große Regisseur….

Tosh Gitonga ist Regisseur des Filmes Nairobi Half Life, hier mit Rom Tykwer beim Dreh (Foto: One Fine Day Films).

"Das wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, war, was es bedeutet, der Chef auf einem Dreh zu sein."


Wie kommt der Film "Nairobi Half Life" in Kenia an?

Es ist unglaublich! Am Anfang dachte ich, der Film bleibt vielleicht ein, zwei Wochen in den Kinos. Jetzt sind wir schon in der sechsten Woche! Und jede Woche wird der Film verlängert, weil das Interesse so groß ist. Für mich ist diese Resonanz wirklich unglaublich. Und gleichzeitig ist sie auch so wichtig, weil sie auch ein deutliches Signal sendet: Die kenianische Filmindustrie hat eine Zukunft!


Warum, denken Sie, kommt der Film so gut an?

Als ich den Film gemacht habe, war es mir ganz wichtig, die Geschichte so zu erzählen, wie sie wirklich ist. Und so wie ich sie - als Kenianer - verstehe. Ich glaube, dass ist der Hauptgrund, warum der Film so gut ankommt. Die Leute können sich mit der Geschichte identifizieren. Viele von ihnen sind wie die Hauptfigur Mwas nach Nairobi gekommen, um ein besseres Leben zu führen. Und haben dann festgestellt, dass das gar nicht so einfach ist. Normalerweise gibt es solche Filme in Kenia nicht.

Am 10.10.2012 feierte der kenianische Film Nairobi Half Life in Anwesenheit des Regisseurs und Tom Tykwer und Marie Steinmann (One Fine Day Films) Premiere im Kino International in Berlin (Foto: DW/N. Wojcik).

Tosh Gitonga bei der Premiere in Berlin mit Marie Steinmann und Tom Tykwer


Die Hauptfigur Mwas kommt aus der Provinz nach Nairobi und träumt davon Schauspieler zu werden - und muss sich dann im harten Alltag der Großstadt durchschlagen. Können auch Sie sich damit identifizieren?

Auf jeden Fall. Ich bin auch außerhalb von Nairobi aufgewachsen und als ich 17 war, hat mich meine Mutter ermutigt, in die Stadt zu ziehen, weil es dort einfach viel mehr Möglichkeiten gibt. Das war ziemlich hart - und vor allem harte Arbeit. Aber gleichzeitig hat es mich auch stärker gemacht. Mein erster Job in der Filmindustrie war es, den Regisseuren und Produzenten Kaffee zu kochen. Und zu fotokopieren, den ganzen Tag lang, Seite für Seite. Mit den Kopierern von damals. Können Sie sich vorstellen, wie lange es dann dauert, ein hundertseitiges Skript zu kopieren? Und wenn sich dann was ändert, musste man wieder von vorne anfangen… Seitdem hasse ich fotokopieren.


Wie haben Sie sich auf Ihre erste Regie-Arbeit bei "Nairobi Half Life" vorbereitet?

Filmstill Nairobi Half Life, Regie Tosh Gitonga (Copyright: One Fine Day Films).

"Nairobi Half Life": Mwas erster Tag in der Hauptstadt

Der Hauptdarsteller wird Mitglied einer Gang in den Slums von Nairobi. Also bin ich in Vorbereitung für den Dreh eben dorthin und habe mit den Banden, Taschendieben und Räubern gesprochen. Es war nicht einfach, deren Vertrauen zu gewinnen, weil sie natürlich befürchteten, ich würde sie anschließend verhaften. Schließlich haben sie aber doch mit mir geredet und so habe ich Einblicke in ihr Leben und ihren Alltag bekommen. Das war mir sehr wichtig, weil ich wollte, dass der Film authentisch wird. Und ich wollte verstehen, was hinter dem Verbrechen und der Gewalt steht. Das Interessante daran war, dass eigentlich keiner von den Jungs einfach nur gewalttätig ist. Vielmehr ist es so, dass sie sich für einen Weg entschieden haben, von dem viele wissen, dass er falsch ist. Während eines Raubs ist dann das Adrenalin so hoch und wenn dann noch Panik dazu kommt, drücken sie im Affekt ab. Ein fataler Unfall, wenn man so will, denn an und für sich wollen sie keine Gewalt anwenden. Für sie geht es ums reine Überleben, nicht mehr und nicht weniger. Und es ist wichtig, genau das zu verstehen.

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