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Mein Lieblingsgesetz

Bernd Riegert, Studio Brüssel28. Februar 2008

EU-Richtlinien über den Krümmungsradius von Bananen? Wer das für den Gipfel der bürokratischen Auswüchse der EU-Gesetzgebung hält, irrt. Bernd Riegert stellt seine ganz persönliche Lieblingsrichtlinie vor.

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Bild: DW

Nach fast fünf Jahren in Brüssel ist es an der Zeit, dass ich einem alten Brauch für Korrespondenten folge und meine Lieblingsrichtlinie der Europäischen Union erwähle. Bei der letzten Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Brüssel habe ich meinen Schatz gefunden: Schön vom Textkörper her, aber völlig überflüssig. Allein der Titel zergeht wie literarische Butter auf der Zunge: "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Anbau der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern"!

Bernd Riegert Deutsche Welle Porträtfoto
Bild: DW

Tja, da ist man doch von dieser sprachlichen Opulenz gleich völlig fasziniert. Das Gesetz, Sie ahnen es, befasst sich mit Rücklichtern von Traktoren. Auf nur 52 Seiten breitet der federführende Autor Jose Barroso ein wahres Universum von Scheinwerfern, Blinkern und Katzenaugen aus, die an mindestens zweiachsigen Zugmaschinen von Lappland bis Kreta angebracht werden dürfen. Das spannende Werk erreicht seinen Höhepunkt schon auf Seite 14, wo endlich geregelt wird, was der Abstand zweier Leuchten ist. Ich zitiere: "Abstand zweier Leuchten, die in gleiche Richtung gerichtet sind, ist der Abstand zwischen den Parallelprojektionen der Umrisse der beiden (…) bestimmten leuchtenden Flächen auf einer Ebene, die vertikal zur Betrachtungsrichtung dieser Umrisse liegt." Aha!

Es wurde wirklich Zeit, dass die seit 1978 in der Europäischen Union geschaffenen Richtlinien für Treckerbeleuchtung endlich in einer konsolidierten Richtlinie zusammengefasst werden. An dem Projekt arbeitet die EU-Kommission seit April 2007 in einem beschleunigten Verfahren, denn stellen Sie sich vor, die Ströme von tausenden, nein, zig Millionen Traktoren, die europäische Grenzen mit unterschiedlichen Leuchten heutzutage überqueren, stellen ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem Europa der Bürger im gemeinsamen Binnenmarkt dar.

Deshalb kümmert sich eine wackere Schar von Beamten, Parlamentariern, Berichterstattern und sogar der Kommissionspräsident selbst geradezu rührend um die Funzeln in Feldrain und Waldesruh. Diese Richtlinie darf dem Chef-Entbürokratisierer der EU Edmund Stoiber, dem bayrischen Reißwolf, niemals in die Hände fallen. Es wäre doch schade, wenn Textstellen wie diese, nie im europäischen Gesetzblatt veröffentlicht würden:

„Leuchten mit veränderlicher Lage sind auf der Zugmaschine angebrachte Leuchten mit nicht abdeckbarer Abschlussscheibe, die gegenüber der Zugmaschine beweglich sind.“

Man kann sie also abnehmen. Sie werden verstehen, dass diese Richtlinie meine absolute Favoritin ist. Europäische Kultur ist das Schöne, das keinen unmittelbaren Nutzen hat. Im Rennen war auch noch die Richtlinie über die Anbringung von rückwärtigen Kennzeichen an landwirtschaftlichen Zugmaschinen. Aber das ist eine andere Geschichte…