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Meinung: Hoffnungsvolles Tunesien

Daniel Scheschkewitz14. März 2012

Mit dem Besuch seines Ministerpräsidenten Jebali in Berlin entwickelt sich Tunesien zum geschätzten Partner Deutschlands in der Region, meint Daniel Scheschkewitz.

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Hamadi Jebali ist in Berlin von Bundeskanzlerin Merkel mit offenen Armen und freundlichen Worten empfangen worden. Tunesien hat sich aus Sicht Deutschlands seit der Revolution in einer Weise entwickelt, die Anlass zur Hoffnung gibt. Trotz der nach wie vor bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme ist in Tunesien eine politische  Stabilität eingekehrt, die positiv in die Region ausstrahlt. Anders als in Ägypten waren die Wahlen in Tunesien nicht von gewaltsamen Protesten begleitet. Sie verliefen frei und fair und haben innerhalb kürzester Zeit zu einer unumstrittenen Regierungsbildung geführt. Ministerpräsident Jebali hat bei seinem Treffen im Kanzleramt deutlich gemacht, wie wichtig ihm dieser demokratische Prozess ist.

Islamist moderater Prägung

Der 62-Jährige ist seit Dezember Regierungschef seines Landes. Er ist gleichzeitig Generalsekretär der islamistischen Ennahda-Partei, die im Parlament über eine klare Mehrheit der Sitze verfügt.

DW-Redakteur: Daniel Scheschkewitz
DW-Redakteur: Daniel ScheschkewitzBild: DW

Für viele in Europa war dieses Wahlergebnis zunächst ein Schock. Man sah das Land auf dem Weg in eine religiös-fundamentalistische Gesellschaftsordnung. Inzwischen sind die Kassandrarufe in Bezug auf Tunesien aber weitgehend verstummt. Sicherlich, auch in dem nordafrikanischen Land gab es Übergriffe auf Kinos, in denen allzu freizügige westliche Filme liefen und erst in der vergangenen Woche haben Salafisten an der Universität von Tunis die Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis gehisst. Bedenklich stimmt auch die Tatsache, dass sich der Besitzer des privaten Fernsehsenders Nessma TV, Nabil Karoui, noch immer vor Gericht verantworten muss. Ihm wird vorgeworfen,  mit der Ausstrahlung des französisch-iranischen Politcomics "Persepolis" Blasphemie begangen zu haben. In dem Film geht es um ein junges iranisches Mädchen, das mit Gott hadert und ihn in Frage stellt. Eine Haftstrafe gegen Karoui wäre ein alarmierender Rückschlag für die Presse- und Meinungsfreiheit in Tunesien.

Vorbild für Mittelweg

Trotz dieser Einzelfälle hat sich die Befürchtung, Tunesien könnte sich nach dem Sieg der Islamisten zu einer religiös-autoritären Gesellschaft entwickeln, bislang nicht bewahrheitet. Alle Bürger, gleich welcher Religionszugehörigkeit, genießen die gleichen Rechte. Die Gleichberechtigung der Frauen soll in die Verfassung aufgenommen werden. Deutschland hat dem Land mit einem beherzten Schuldenerlass unmittelbar nach dem Umbruch schon früh einen Vertrauensvorschuss gewährt. Bislang wurde man nicht enttäuscht. Anders als in Ägypten, können die politischen Stiftungen aus Deutschland in Tunesien ohne Schikanen ihrer Arbeit nachgehen und ihren Beitrag für die Entwicklung einer stabilen demokratischen Kultur leisten. Auch von einem Bikiniverbot an tunesischen Stränden hat man in Tunesien bisher nichts gehört. Die Menschen dort wissen nur zu gut, dass es zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung nur dann kommen kann, wenn auch die Touristen an die Strände zurückkehren. Die neue tunesische Regierung basiert auf einer breiten Koalition und sucht den politischen Dialog, statt auf Konfrontation zu setzen. Das Land hat einen Mittelweg eingeschlagen, in dem westliche Moderne und die traditionelle Lebensweise des Islam gleichberechtigt nebeneinander existieren sollen.

Konstruktive Rolle im Syrienkonflikt

Außenpolitisch hat sich Tunesien in der Syrienkrise als zuverlässiger Partner erwiesen. In Tunis fand das erste Treffen der Kontaktgruppe für Syrien statt, in der der Westen die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen gegen das Assad-Regime zu koordinieren versucht. Tunesien bemüht sich nach Kräften um eine politische Lösung des Konflikts und spielt in der Arabischen Liga eine konstruktive Rolle. Dazu gehört auch die berechtigte Warnung von Ministerpräsidenten Jebali vor einer militärischen Intervention in Syrien. Bei aller Entrüstung über das systematische Morden des Assad-Regimes weiß man in der tunesischen Regierung nur zu genau, dass sich das Vorgehen der Nato in Libyen nicht auf Syrien übertragen lässt. Ob sich Tunesien, wie von Staatspräsident Marzouki vorgeschlagen, als Exilland für Baschar al-Assad eignet, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt.

Wichtiger für das Land wäre es, wenn der ins saudi-arabische Exil geflohene Ex-Diktator Ben Ali bald nach Tunesien zurückkehrte, um dort vor Gericht gestellt zu werden. Ein Prozess nach rechtsstaatlichen Kriterien wäre ein weiteres Indiz für die vorbildliche Entwicklung Tunesiens und ein wichtiges Signal an seine arabischen Nachbarn.