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Bangladesch Meinungsfreiheit

Ana Lehmann18. April 2013

Die Verhaftung von Bloggern trage nicht zur Entspannung der explosiven Situation in Bangladesch bei, sagt Meenakshi Ganguli von Human Rights Watch. Im Gegenteil: Die Regierung setze so die Meinungsfreiheit auf Spiel.

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Activists of Hifazat-e Islam shout slogans during a rally in support of the Long March, a march from Chittagong to Dhaka, in Dhaka, Bangladesh, Friday, April 5, 2013. A number of activists under the banner of Hifazat-e Islam are set to start their long march from Chittagong to Dhaka Saturday on foot to protest against Bangladeshi bloggers who they allege are hurting religious sentiments of the country's Muslim majority. (AP Photo/A.M. Ahad)
Dhaka Protest gegen BloggerBild: picture-alliance/AP Photo

DW: In Bangladesch sind kürzlich vier Blogger festgenommen worden. Die Regierung wirft ihnen vor, Hass geschürt, atheistische Gedanken ausgedrückt und die Gefühle von Muslimen verletzt zu haben. Wie steht Human Rights Watch zu diesen Vorwürfen?

Meenakshi Ganguli: Wir sagen, dass jeder das Recht haben muss, seine religiöse Sichtweise auf friedliche Weise zu äußern. Die Verhaftungen verletzen das Recht der Bürger von Bangladesch auf freie Meinungsäußerung.

Welche Situation hat zu dieser harten Vorgehensweise der Regierung geführt?

Dazu muss ich etwas ausholen: In Bangladesch ist ein Kriegsverbrecher-Tribunal damit beschäftigt, die Verantwortlichen für Völkermord und Vergewaltigungen im Unabhängigkeitskrieg 1971 aufzuspüren und zu verurteilen. Es gibt nun eine Gruppierung, die sogenannte Shahbag-Bewegung, die die Angeklagten bestraft sehen will und für sie sogar die Todesstrafe fordert. Eine andere [eher islamistisch ausgerichtete, d. Red.] Bewegung unterstützt die Angeklagten, die meist Führer der größten islamischen Partei Bangladeschs, Jamaat-e-Islami, sind. Beide Gruppierungen haben ihre Sichtweisen im Netz veröffentlicht.

Die verhafteten Blogger unterstützen die Shahbag-Bewegung. Sie vertreten die Ansicht: "wenn es der Regierung nicht gelingt, durchzusetzen, dass die angeklagten Kriegsverbrecher angemessen bestraft werden, dann verhält sich die Regierung pro-islamistisch." Im Februar war bereits ein Blogger festgenommen worden. Er war Anhänger der Jamaat-e-Islami und hatte die Shahbag-Bewegung kritisiert. Es gab also Festnahmen auf beiden Seiten, allerdings mehr auf der Shabagh-Seite.

Fast einhundert Menschen sind bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern dieser Bewegungen und den Sicherheitskräften bereits getötet worden. Was sollte die Regierung unternehmen, um die Lage in den Griff zu bekommen?

Die Situation ist gewalttätig und explosiv. Natürlich muss die Regierung alles tun, um die Ruhe wiederherzustellen und gewalttätige Protestverantstaltungen zu verhindern. Aber wir meinen, dass die Verhaftung von Bloggern die Probleme nicht löst. Notwendig ist vielmehr, diejenigen ausfindig zu machen, die die Gewalt anheizen - das sind häufig politische Führer. Gegen sie muss die Regierung vorgehen und nicht gegen Blogger, die ihre Ansichten über Soziale Netzwerke verbreiten.

Gleichzeitig müssen die Sicherheitskräfte in ihre Grenzen gewiesen werden, damit sie sich stärker zurückhalten. Manchmal greifen Protestierende Polizeistationen an, dann eröffnen die Polizisten das Feuer, und es sterben noch mehr Menschen. Daraufhin gibt es dann Proteste gegen das Eingreifen der Polizei, und wieder kommen Menschen ums Leben. Daraus entsteht ein Kreislauf der Gewalt. Also: Die Regierung muss die Ruhe wiederherstellen, aber sie darf dabei nicht die Meinungsfreiheit aufs Spiel setzen.

Human Rights Watch hat darauf hingewiesen, dass sich dieser Konflikt in Bangladesch kürzlich noch weiter verschärft hat - und zwar entlang der religiösen Linien. Können Sie das erläutern?

Bangladesch ist ein überwiegend muslimisches Land, es gibt aber auch hinduistische und buddhistische Minderheiten. Nun haben vor Kurzem muslimische Gruppen religiöse Stätten der Hindus angegriffen. Ihr Motiv: Sie wollten gegen die Shahbag-Bewegung protestieren. Shahbag [ist eine zivilgesellschaftliche Initiative und] hat nichts mit Religion zu tun, aber aus dem Drang heraus, ihre Ablehnung auszudrücken, griffen Muslime Hindu-Tempel an. Das ist ein Beispiel.

Hinzu kommt: Die meisten Mitglieder der Shahbag-Bewegung, die ja selber Muslime sind, meinen, dass die verurteilten Führer der islamistischen Jamaat-e-Islami bestraft werden müssen. Die Anhänger der Jamaat-e-Islami halten die Shabagh-Mitglieder daher für anti-muslimisch, beschimpfen sie als Atheisten und werfen ihnen Blasphemie vor.Manche islamistischen Geistlichen fordern sogar strenge islamische Gesetze, unter anderem eines, das Blasphemie unter Strafe stellt. Human Rights Watch lehnt dies ab, da wir der Ansicht sind, dass jeder Bürger die Freiheit haben sollte, seine Religion frei auszuüben.

Bangladesch ist laut Verfassung ein säkularer Staat. Ist die dort festgeschriebene Trennung von Politik und Religion gefährdet?

Premierministerin Sheikh Hasina hat ihr Volk kürzlich daran erinnert, dass Bangladesch ein säkularer Staat ist. Ihre Partei, die Awami Liga, ist traditionell säkular ausgerichtet. Aber am Ende des Jahres stehen Parlamentswahlen an. Und alle politischen Parteien versuchen bereits jetzt, so viele Anhänger wie möglich zu gewinnen, um eine Mehrheit zu erhalten. Die Regierung versucht, es beiden Seiten Recht zu machen, indem sie einen Jamaat-e-Islami - Blogger ebenso verhaftet wie diejenigen Blogger, denen die Islamisten vorwerfen, die Gefühle der Muslime zu verletzen.

Aber das ist keine Antwort auf die Probleme. Die Antwort ist, dass die Politik sich aus einer Situation heraushalten sollte, die eigentlich mit Meinungsfreiheit zu tun hat. Es sollte einen freien Meinungsaustausch und friedliche Debatten über die Themen geben, die für die Menschen in Bangladesch von so großer Bedeutung sind. Und es sollte nicht sein, dass der Staat Bürger unter Arrest stellt.

Meenakshi Ganguli ist Bangladesch-Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Mumbai, Indien