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Meister der Spannung

Jochen Kürten7. April 2007

Alfred Hitchcock wurde in der Fachwelt lange nur als routinierter Handwerker geschätzt. Das änderte sich erst durch Claude Chabrol. Von beiden Regisseuren sind jetzt eindrucksvolle DVD-Boxen erschienen.

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Alfred Hitchcock blickt hinter einem Busch hervor
Alfred Hitchcock 1964 in HollywoodBild: AP

Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass Alfred Hitchcock in der Filmwelt einmal lediglich den Ruf eines versierten Handwerkers genoss. Mit dem Namen Hitchcock, der noch heute Cineasten in aller Welt elektrisiert, verbanden viele bis in die 1960er Jahre lediglich den eines routinierten Unterhaltungsregisseurs. Es waren vor allem französische Kritiker, die Ende der 50er Jahre in dem gebürtigen Briten den genialen Regisseur entdeckten, für den ihn heute alle halten. Vor allem François Truffaut mit seinem berühmten Interview-Buch "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" und Claude Chabrol gelten heute als "Wieder-Entdecker" des Briten.

Meister über Meister

Claude Chabrol im Dezember 2003 in Berlin
Claude Chabrol erhielt 2003 den Europäischen Filmpreis für sein LebenswerkBild: AP


1957 erschien in der Reihe "Classiques du Cinéma" das Buch "Hitchcock" der späteren Nouvelle Vague-Regisseure Claude Chabrol und Eric Rohmer. Chabrol schrieb über den britischen Regisseur: "Um richtig in Hitchcocks Universum eindringen zu können, darf man sich nicht von trügerischen Augenfälligkeiten verführen lassen, man darf auch nicht die Charaktere innerhalb des Suspense-Feuerwerks suchen. Die Antriebskräfte für den kriminalistischen Kern der Geschichten liegen stets außerhalb der Hauptgestalten, die Probleme sind nie so, dass eine gut organisierte Polizeimacht nicht eine Lösung finden könnte. Das Verbrechen ist folglich für Hitchcocks Personen nichts anderes als eine gewaltige Probe, die es zu bestehen gilt, die schwierigste und härteste Situation, in der sich ein menschliches Wesen befinden kann."

Fünf Chabrol-Klassiker

Coverbild: DVD-Box Claude Chabrol - Classic Edition


Die zweite Hälfte der 60er Jahre waren die wohl fruchtbarste Phase Chabrols. Fünf unvergessene Meisterwerke drehte er in diesen Zeitraum kurz hintereinander. In vier der Filme spielt Chabrols damalige Ehefrau Stéphane Audran die Hauptrolle. Als "Classic Edition" sind diese Filme jetzt beim Anbieter Galileo Medien AG erschienen.

"Zwei Freundinnen" / "Les Biches" (1967)
Eine fatale in St. Tropez und Paris spielende Dreiecksbeziehung zwischen zwei Frauen und einem Mann, ein Film über Macht und Abhängigkeiten, Liebe und Leidenschaft: "Unter all den Werken Chabrols ist 'Zwei Freundinnen' das ungewöhnlichste" schrieb der Kritiker Wilfried Wiegand.

"Die untreue Frau" / "La femme infidèle" (1968)
Eine fast schon klassisch anmutende Ehebruchsgeschichte im bourgeoisen Pariser Milieu, in der der gehörnte Ehemann seine Frau durch eine Bluttat am Ende zumindest geistig zurückgewinnen kann: "Die Figuren wirken wie unter das Mikroskop gelegt, nichts an ihnen scheint unwichtig zu sein, bestimmt von einem weichen, seinen Gegenstand behutsam abtastenden Naturalismus." (Wilfried Wiegand)

"Das Biest muss sterben" / "Que la bête meure" (1969)
Ein verzweifelter Vater sucht den Mann, der seinen Sohn mit dem Wagen überfahren hat. Eine Rachegeschichte von beklemmender Intensität: "Die Wucht und Trauer dieses Films ist bei Chabrol fast einzigartig. Keine Faxen mehr, keine Scherze, keine Versuchanordnungen im Labor der menschlichen Mäuse wie sonst." (Dominik Graf)

"Der Schlachter" / "Le boucher" (1969)
Die bizarre Freundschaft einer Lehrerin in der französischen Provinz zu einem Schlachtermeister, der sich als Sexualverbrecher entpuppt: "'Der Schlachter' ist Chabrols kritischster und menschlichster Film geworden, und er kann das eine nur sein, weil er auch das andere ist. Die private Lebensgeschichte wird zum Kapitel der Jahrtausendealten Menschheitsgeschichte." (Wilfried Wigand)

"Der Riss" / "La rupture" (1970)
Eine Frau kämpft gegen den Schwiegervater und einen von diesem gedungenen Intriganten um das Sorgerecht ihres Sohns. Eine Chabrolsche Passionsgeschichte mit einer unglaublich starken Frauenfigur: "Ich wollte ein Melodram machen, ein richtiges Melodram. Ich wollte, dass die Leute aufhören zu sagen: 'Der Film enthält melodramatische Tendenzen'. Wenn die Tendenzen da sind, kann man genau so gut ein richtiges Melodram machen, was bedeutet: ein tränenrühriges Drama mit Musik." (Claude Chabrol)

Die DVD- Box "Claude Chabrol - Classic Edition" ist bei Galileo Medien erschienen. Preis: 33.89 Euro.


"Master of Suspense": Sieben Hitchcock-Filme in einer Box

Coverbild: DVD-Box Alfred Hitchcock - Master of Suspense


Der Titel "Master of Suspense" trifft nur auf einen Teil der sieben Hitchcock-Filme der bei Kinowelt erschienenen Edition zu. Es sind frühe Arbeiten aus der Schaffensphase des Meisters und auch Filme, die ein wenig im Schatten großer Meisterwerke wie "Fenster zum Hof" und "Vertigo" stehen. Alfred Hitchcock war nicht nur ein Meister der Spannung und des Horrors, nicht nur ein Regisseur, der den Zuschauer an seinen ganz persönlichen Angstneurosen teilhaben ließ. Hitchcock bewies auch stets Sinn für Humor, für ausgefeilte Pointen, und auch für die Entwicklung melodramatischer Stoffe.

Auf der Suche nach einem Stil

Auch wenn diese Erkenntnis nicht neu ist, so ruft die jetzt bei "Kinowelt" erschienene Edition diesen "anderen" Hitchcock wieder in Erinnerung. Hitchcock zeigte, wie Claude Chabrol es formulierte, "Menschen in schwierigen Situationen", bei Bewährungsproben auch außerhalb kriminalistischer Kontexte. So geht es in den Frühwerken "Champagner" (1928), "Erpressung" / "Blackmail" (1929), "Mord - Sir John greift ein" / "Murder!"(1930) und "Endlich sind wir reich" / "Rich and strange" (1931) eher um melodramatische Liebesbanden, um Verführung und Eifersucht, um obskure Lustmolche, Kriminalisten, denen die Liebe wichtiger als die Wahrheit ist und um edle Geschworene, die der Justiz keinen Glauben schenken. Der junge, noch nach seinem Stil suchende Regisseur, zeigt sich in diesen Filmen experimentierfreudig und mit einem gehörigen Schuss britischem Humor.

"Mord - Der Auslandskorrespondent" / "Foreign Correspondent" (1940)
Ein amerikanischer Journalist im Europa des beginnenden Zweiten Weltkriegs, eine Tour de Force durch das alte Europa mit holländischen Windmühlen, einer vernebelten Dampferfahrt nach London und einem spektakulären Finale in einem abstürzenden Flugzeug: "Für Joseph Goebbels, seinerzeit Propagandaminister unter Hitler, war der Film eine erstklassige Produktion, von der er glaubte, sie werde ihre Wirkung auf die Zuschauer in vielen Ländern nicht verfehlen." (Donald Spoto)

"Verdacht" / "Suspicion" (1941)
Gary Grant und Joan Fontaine in einer Mischung aus Melodram und Psychothriller. Ein Reigen um Misstrauen, Liebe und Identitätsprobleme: ein "ohne jeden Bruch langsam aufsteigendes Crescendo der Spannung, das sich aus einer simplen, idyllischen, mit einigen ironischen Tupfern versehenen Liebesgeschichte entwickelt." (Ronald M. Hahn/Rolf Giesen)

"Sklavin des Herzens" / "Under Capricorn" (1948)
Einer der untypischsten Hitchcock-Filme, ein Kostümmelodram aus dem Australien Mitte des 19. Jahrhunderts: Schuld, Standesdünkel und Intrigen markieren hier die dramaturgischen Eckpfeiler: "Ein Film, bei dem die Gesellschaft der Hitchcockianer gern diskret wegschaut - wie man es eben gerne tut bei einem tolpatschigen Verwandten dritten Grades." (Fritz Göttler)

Die Hitchcock Box "Master of Suspense" ist bei Kinowelt/Arthaus erschienen, 7 Filme auf 6 DVDs plus Bonus-Material. Preis: 42.45 Euro.