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Mekka der Raubgräber

Philipp Jedicke23. Oktober 2014

Terroristische Organisationen verdienen am Verkauf geraubter Kunstschätze aus dem Nahen Osten - auch über deutsche Antikenhändler. Schuld daran ist laut Experten die laxe Handhabung bestehender Gesetze.

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Weltkulturerbe Palmyra in Syrien (Foto: Getty Images)
Bild: Joseph Eid/AFP/Getty Images

Die Oase Palmyra in Syrien gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Nach der Eroberung durch Kämpfer der Terrormiliz "lslamischer Staat" (IS) gleicht der ehemalige Touristenmagnet einer Mondlandschaft. Denn sobald die Mitglieder des IS an einer der vielen jahrtausendealten Kulturstätten in Syrien und im Irak ankommen, fangen sie an zu graben - auf die unprofessionellste Art und Weise. Es wird gesprengt, bis zu 10 Meter tief gebuddelt, selbst vor dem Einsatz von Bulldozern schrecken sie nicht zurück. Für sie ist die Eroberung des ehemaligen Mesopotamien ein lohnendes Geschäft. In den Ruinen antiker Siedlungen wühlen sie vor allem nach Objekten, die sich auf dem internationalen Antikenmarkt gut zu Geld machen lassen - hübsche Statuen, antikes Spielzeug, Schmuckstücke. Was den Raubgräbern wertlos erscheint, beschädigen sie oder lassen es ungeschützt in den entstandenen Kratern zurück.

Nie zuvor gekanntes Ausmaß

Das Phänomen der Raubgrabungen ist fast so alt wie die Menschheit. Doch seit den Irak-Kriegen, dem syrischen Bürgerkrieg und dem Aufkommen des "Islamischen Staates" haben sie ein ungeahntes Ausmaß erreicht. Tagein, tagaus schaffen Mittelsmänner Beutekunst aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten über die Türkei oder den Libanon an Orte wie den Freihafen von Dubai, wo sie entweder direkt erworben werden können oder - vom Zwischenhändler mit Exportpapieren versehen - zu Antikenhändlern oder Auktionshäusern nach Europa und in die USA verschickt werden. Medienberichten der Süddeutschen Zeitung (SZ) und des Norddeutschen Rundfunks (NDR) zufolge ist der Handel mit gestohlenen oder illegal gegrabenen Kulturgütern nach Waffen- und Drogenhandel die drittgrößte Form der organisierten Kriminalität weltweit. Und: Eines der Zentren des internationalen Antikenhandels ist laut den Recherchen die bayerische Landeshauptstadt München.

Zerstörtes Grab des Propheten Jonahs (Foto: Reuters)
Im Juli 2014 sprengen IS-Kämpfer die Jonas-Moschee in MossulBild: Reuters

Dort und auch in anderen Kunsthandelszentren wie Brüssel oder London stehen in den Auktionskatalogen neben den Fotos von Raubkunst-Objekten keine genauen Herkunftsbezeichnungen, sondern schwammige Angaben wie "Vorderer Orient" oder "bayerische Privatsammlung". Mit dem Kauf dieser Altertümer machen sich Kunstliebhaber in München oder Brüssel nicht nur strafbar, sie unterstützen damit den islamistischen Terror. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat am Montag ein neues Gesetz angekündigt, das aus dem geltenden Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 ein wirkungsvolles Werkzeug gegen die Einfuhr des Diebesgutes machen soll. "Deutschland muss aufpassen, dass es nicht zum Umschlagplatz wird", sagte sie gegenüber NDR und SZ. Doch das ist es laut Sylvelie Karfeld schon längst. Die für den Kampf gegen den illegalen Antikenhandel zuständige BKA-Beamtin bezeichnete Deutschland bei einer Pressekonferenz in Berlin sogar als "Eldorado des illegalen Kulturguthandels". Im Interview mit dem NDR ergänzte sie: "Nach dem deutschen Recht wird ein normales Hühnerei besser geschützt und besser deklariert als die wertvollste Antike." Wie konnte es so weit kommen?

Ein internationales Schutzgesetz und seine deutsche Auslegung

Bereits 1970 wurde eine UNESCO-Konvention verabschiedet, in der sich die Weltgemeinschaft zum gemeinsamen Kulturgutschutz verpflichtete. Deutschland unterzeichnete diese als eines der letzten Länder erst im Jahr 2007. Die Umsetzung dieser Konvention in das hierzulande geltende Kulturgüterrückgabegesetz führte laut Kulturstaatsministerin Grütters zu "laxen Einführungsbestimmungen“. Es galt ein Listenprinzip: Herkunftsländer von Beutekunst waren aufgefordert, der Bundesregierung Kulturgüter von "nationaler Bedeutung" zu melden, die dann in einer Liste im Bundesanzeiger veröffentlicht werden sollten. Acht Jahre später sind Funde aus Raubgrabungen nirgends gelistet, kein einziges Objekt wurde je an ein Herkunftsland zurückgegeben. Denn jene wissen oft gar nicht, welche Stücke bei ihnen aus dem Boden geholt wurden. "Das Problem Antikenhehlerei ausschließlich über die Rückgabe der geplünderten Antiken an deren rechtmäßigen Eigentümer lösen zu wollen, ist im Gunde eine Illusion. Rückgabe ist ja nur dann möglich, wenn auch tatsächlich die Herkunft nachgewiesen ist", sagt Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz gegenüber der DW.

Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe (Foto: RGZM / V. Iserhardt )
Kriminalarchäologe Michael Müller-KarpeBild: RGZM / V. Iserhardt

Müller-Karpe unterstützt als Sachverständiger die deutschen Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Arbeit im Kampf gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern. Er plädiert dafür, dass die Behörden bereits in Aktion treten, wenn ein Objekt aus dem Nahen Osten auftaucht. Denn in allen Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches ist der Export mit Altertümern seit 1869, der Handel mit ihnen seit 1906 verboten. "Selbst wenn Syrien, die Türkei oder der Irak bestimmte Objekte nicht zurückfordern können, weil sie nicht nachweisen können, dass sie auf ihrem Territorium gefunden wurden, ist klar: Die Dinge müssen illegaler Herkunft sein. Und dann müssen sie natürlich sichergestellt und eingezogen werden, denn das ist Hehlerei", sagt Müller-Karpe. Neben der Auslegung des Kulturgüterrückgabegesetzes sei für ihn und seine Kollegen die generell laxe Einstellung der Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Handel mit geplündertem Kulturgut "unerträglich": "Hehlerei ist in Deutschland ein Straftatbestand. Wer mit einem Kofferraum voller Autoradios mit abgeschnittenen Kabeln in eine Kontrolle gerät, der hat ein Problem. Bei archäologischen Objekten schaut man jedoch regelmäßig weg. Dieses Weggucken grenzt an Mittäterschaft. Das ist nicht zu bagatellisieren."

Paradigmenwechsel gefordert

Kulturstaatsministerin Monika Grütters fordert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Raubkunst. Die Pläne des Kanzleramtes sehen vor, dass fortan nur noch solche Kulturgüter nach Deutschland eingeführt und gehandelt werden dürfen, die über eine offizielle Ausfuhrlizenz des Herkunftslandes verfügen. Michael Müller-Karpe geht das noch nicht weit genug. Schon der Versuch, Raubgüter einzuführen, sollte strafbar sein. Im Grunde sei dies bereits geltendes Recht, doch in der Praxis müsse bislang nicht der Händler nachweisen, dass seine Objekte legal sind, sondern umgekehrt die Behörden dem Händler ihre Illegalität nachweisen.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (Foto: dpa)
Kulturstaatsministerin Monika GrüttersBild: picture-alliance/dpa

Für Grütters steht fest: Das Kulturgüterrückgabegesetz hat dem Ansehen der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt. Das neue Gesetz soll 2016 in Kraft treten, doch bis dahin wird die einflussreiche Antikenhändlerlobby wohl versuchen, Druck auf die Politik auszuüben. Ihren Gegenwind hält Grütters für "erwartbar". Michael Müller-Karpe wünscht sich, dass es dieses Mal anders läuft als 2007: "Es wäre gut, wenn die Bundesregierung diesmal standhaft ist und diesem Druck widersteht. Ich kann es nur hoffen."