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Memorial Day

Daniel Scheschkewitz27. Mai 2002

Am "Memorial Day" gedenken die Amerikaner traditionell ihrer Kriegsgtoten. DW-Korrespondent Daniel Scheschkewitz berichtet über den Tag, der ursprünglich für die Opfer des eigenen Bürgerkriegs ins Leben gerufen wurde.

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Heute gilt die Ehrbezeugung allen, die für Amerika und sein freiheitliches System ihr Leben ließen. An der Gedenkmauer für die Gefallenen des Vietnamkriegs pausen Familienväter zusammen mit ihren Kindern die eingravierten Namen gefallener Verwandter ab. Die inzwischen altersgrauen Veteranen jenes für Amerika so unrühmlichen Krieges brausen mit ihren Harleys in tausendfacher Pferdestärke, die Mall, die Prachtstraße Washingtons herab. Das mag für unser Empfinden alles patritoscher Kitsch sei, für US-Bürger jedoch hat dieser Tag mit dem 11. September wieder eine neue, aktuelle Dimension erhalten.

Publicity-Berater im Weißen Haus hatten denn auch ihre Bedenken, dass Präsident Bush ausgrechnet diesen Tag außer Landes verbringen sollte. Doch dann kamen sie auf eine glänzende Idee. Wenn Bush just an diesem Tage die lange Reihe der amerikanischen Kriegsgräber in der Normandie abschreiten würde, wäre das an Symbolkraft wohl kaum zu überbieten.

Damals starben die "besten Söhne Amerikas" für die Freiheit der Europäer an den Stränden und in den Dörfern der französischen Provinz. Heute müssen US-Soldaten ihr Leben in Afghanistan, im Jemen oder auf den Phillipinen im Kampf gegen den internationalen Terror riskieren.

Aus amerikanischer Sicht findet das, was im Zweiten Weltkrieg ein globales Engagement von historischem Ausmaß war, seine heutige Entsprechung in der weltweiten Aktion "Enduring Freedom". Omaha oder Oklahoma Beach damals, die Höhlen von Tora Bora heute. Und morgen vielleicht die Ufer des Tigris. Amerika fühlt sich mehr denn je in der historischen Pflicht. Auf dem Spiel stehen die gleichen Werte wie damals: Demokratie, Menschenrechte und persönliche Freiheit, aber auch die nationale Selbstbestimmung der Anderen.

Deshalb versteht man es in den USA auch nicht, wenn die Europäer Bush einen Unilateralisten nennen. Für den US-Bürger, der sich heute der Gefallen aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert, sind die Bilder von Bush in der Normandie Erinnerung und Mahnung zugleich - Amerikas globales Anti-Terrorengagment ist dem historischen Selbstverständnis geschuldet und der Pflicht, nicht nur die eigene, sondern auch die Freiheit der anderen zu verteidigen. So gesehen gibt es auch eine Analogie zwischen dem Faschismus der Nationalsozialisten und dem Terrorismus fanatischer Islamisten. Dies mag für uns Deutsche als Vergleich unhistorisch erscheinen. Für Amerika gilt das nicht.

US-Soldaten haben nirgendwo auf der Welt Krieg geführt, um ein Land zu erorbern, heißt es immer wieder. Gelegentlich mögen, wie im Golfkrieg, auch ökonomische Interessen auf dem Spiel gestanden haben, würden wir einschränkend hinzufügen. Doch stimmt, dass die Mehrheit der amerikanischen Kampfeinsätze seit dem 2.Weltkrieg ihrem Charakter nach ideologisch geführte Kriege waren. Kampfeinsätze, bei denen, ob in Vietnam oder Korea, die Freiheit selbst auf dem Spiel stand.

So gesehen ist der "Memorial Day" in den USA ein guter Tag, um amerikanische Befindlichkeiten zu studieren. Hinter dem patriotischen Pomp verbirgt sich ein Stück der amerikanischen Seele und der hätte man an diesem Tag zum Frühstück kaum bessere Bilder liefern können als die ihres Präsidenten vor den Kriegsgräbern in der Normandie.