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Menschenhandel in Deutschland

Michael Gessat22. Juni 2012

Menschenhandel ist nach wie vor ein globales Problem – so der Jahresbericht der US-Regierung. Auch für Deutschland sieht der Report noch Handlungsbedarf; die Lageanalyse steht allerdings auf einer wackeligen Datenbasis.

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Bundespolizei stoppt Schleuser bei Rosenheim Das Foto vom Freitag (09.03.2012) zeigt sechs Menschen, die auf der Ladefläche eines Fahrzeuges bei Rosenheim liegen. Quelle: dpa/lby
Menschenhandel in DeutschlandBild: picture alliance/dpa

"Deutschland ist Herkunfts-, Transit und Zielland für Frauen, Kinder und Männer, die Opfer von sexueller Ausbeutung und erzwungener Arbeit werden." Das ist eine schlechte Nachricht im "Trafficking in Persons Report 2012". Die gute Nachricht: Deutschland erfüllt voll und ganz die internationalen Mindest-Standards zur Bekämpfung von Menschenhandel. Demzufolge wird das Land - wie auch schon in allen Vorjahren - in der besten von vier Kategorien eingestuft, die der Bericht zu vergeben hat.

Zu milde Strafen in Deutschland?

Gute und schlechte Nachricht sind nur scheinbar ein Widerspruch: "Kategorie 1" bedeutet nicht, dass ein Land kein Menschenhandelproblem hat, sondern dass die Regierung verantwortungsvoll damit umgeht. Für Deutschland hat der Bericht Lob, aber auch manche Verbesserungsvorschläge parat:

Einerseits habe die Bundesregierung ihre Anstrengungen im Kampf gegen Menschenhandel verstärkt - bei der Prävention, beim Opferschutz und bei der Strafverfolgung. Andererseits würden überführte Täter im Allgemeinen aber zu milde bestraft, in der Mehrzahl nämlich zu Geld- oder Bewährungsstrafen statt zu Gefängnis. Direkt nach der Gerichtsverhandlung seien die Opfer daher oft wieder neuen Bedrohungen ausgesetzt.

Erst Aussage, dann Abschiebung

Außerdem solle die Bundesregierung bei der Aufenthaltsgenehmigung für die Opfer von Menschenhändlern großzügiger sein, schlägt der Bericht vor – und so sieht das auch Heike Rabe vom "Deutschen Institut für Menschenrechte", eine vom Bund finanzierte, aber politisch unabhängige Einrichtung: "Im Moment ist es so, dass Betroffene von Menschenhandel, die in Strafverfahren aussagen, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, solange das Strafverfahren läuft. Ist es vorbei, müssen sie zurückreisen. Das ist natürlich wenig attraktiv für Betroffene."

Heike Rabe, Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für Menschenrechte und Koordinatorin des Projektes "Zwangsarbeit heute - Betroffene von Menschenhandel stärken" Quelle: DIMR
Heike Rabe, Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für MenschenrechteBild: Deutsches Institut für Menschenrechte

Wenn der Staat mehr Strafverfolgung für die Täter wolle, dann müsse er den Opfern auch etwas anzubieten haben – also ein Bleiberecht auch nach dem Gerichtsprozess: "Das ist ein Modell, dass es in Italien gibt seit mehreren Jahren, mit guten Erfolgen für die Strafverfolgung." Dass Opfer ihre Ausbeutung nur vortäuschen, habe man dabei bislang nicht festgestellt, berichtet die Expertin.

Unsichere Zahlenbasis

Wie gravierend allerdings das Problem "Menschenhandel" in Deutschland wirklich ist, und wie gut Gesetzgebung, Polizei und Behörden damit umgehen, das ist im Grunde nicht verlässlich festzustellen. Der US-Report bezieht sich auf das Jahr 2010, zählt eine Menge prozentualer Veränderung im Vergleich zum Vorjahr auf und deutet damit Tendenzen zum Besseren oder Schlechteren an.

Großrazzia auf Frankfurter Baustelle Quelle: dpa
Menschenhandel mit hoher Dunkelziffer: Ausbeutung von BauarbeiternBild: picture alliance/dpa

Die Zahlen stammen aus dem "Lagebild Menschenhandel" des deutschen Bundeskriminalamtes. Sie geben aber nur Auskunft über abgeschlossene Ermittlungsverfahren, die Dunkelziffer bleibt außen vor. Diese sei besonders im Bereich der Arbeitsausbeutung riesig, vermutet Heike Rabe. Gerade einmal 24 Verfahren mit 41 Betroffenen gab es 2010 in Deutschland. Eine bundesweite Razzia in Chinarestaurants ist dabei schon mit eingerechnet. Bei dieser geringen Fallzahl erscheinen statistische Vergleiche zum Vorjahr schlichtweg sinnlos.

Sexuelle Ausbeutung

Auch im Bereich der sexuellen Ausbeutung sind die absoluten Zahlen relativ gering, jedenfalls was die polizeilich bekannten Fälle betrifft. 470 Verfahren mit 610 Betroffenen verzeichnet hier das BKA-Lagebild und folglich auch der US-Report. Auch hier lassen sich im Vergleich mit den Vorjahren keine statistisch belastbaren Interpretationen ableiten. Die Spannbreite der Fälle reicht von deutschen Mädchen, die auf "Loverboys" hereinfallen über mit Voodoo-Zeremonien in Angst versetzte Nigerianerinnen bis hin zu Haushaltshilfen von ausländischen Diplomaten. Entsprechend unmöglich dürfte es sein, aus der Vielzahl der Tatbestände generelle Aussagen über Tendenzen beim Strafmaß abzuleiten.

Verlust der Selbstbestimmung

"Es ist auch nicht richtig, dass die Frauen überwiegend hierher geschleppt werden, und nicht wissen, was sie hier tun", betont Heike Rabe – ein Großteil komme wohl zunächst freiwillig nach Deutschland, um in der Prostitution zu arbeiten. Dann passiere das Gleiche wie bei anderen Tätigkeiten:

Eine Frau wird von einem Polizisten in Gewahrsam genommen. (c) dpa - Bildfunk+++
Auch in Deutschland gibt es Opfer von ZwangsprostitutionBild: picture-alliance/dpa

"Im Laufe eines Migrationsprozesses verlieren die Männer oder Frauen immer mehr ihre Selbstbestimmung, sie können nicht mehr genau kontrollieren, wo sie wie arbeiten - das gilt für das Bordell wie für den Bau." Der große Unterschied sei natürlich in den Fällen von tatsächlicher Zwangsprostitution die schwere Verletzung der sexuellen Integrität – davon sind nicht nur in Deutschland, sondern weltweit überwiegend Frauen betroffen.

Neue EU-Strategie

Bei aller Unsicherheit über die tatsächlichen Ausmaße des Problems Menschenhandel: Die Bemühungen im Kampf gegen das Verbrechen Jahr für Jahr zu steigern, so wie es der US-Bericht von den "Kategorie-1"-Staaten einfordert, ist der richtige Weg. So sieht es EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die zeitgleich mit dem US-Bericht eine neue Strategie zur Bekämpfung von Menschenhandel in der EU vorstellte. Bessere Erkennung von Opfern, mehr Opferschutz, mehr Prävention und bessere Strafverfolgung sind auch hier die Hauptziele. Heike Rabe sieht darin die richtige Perspektive: "Die Problempunkte, die dort angerissen werden, spiegeln in großen Teilen die deutsche Lage."