1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Menschenrechte in der Ukraine: Positive und negative Tendenzen

24. Mai 2006

Wie steht es um die Rechte und Freiheiten der Bürger in der Ukraine im ersten Jahr nach der orange Revolution? Der Ukrainische Helsinki-Verband sowie Amnesty International stellten kürzlich ihre Berichte vor.

https://p.dw.com/p/8WLj
Eine Gedenktafel am Kiewer Unabhängigkeitsplatz erinnert an die orange RevolutionBild: Markian Ostaptschuk

Menschenrechtsorganisationen in der Ukraine stellen insgesamt positive Tendenzen bei der Einhaltung der Rechte und Freiheiten der Bürger fest. Die Lage im Land sei aber nicht einfach. Das teilten am 19. Mai in Kiew Vertreter des Ukrainischen Helsinki-Verbandes für Menschenrechte mit. Der Verbands-Vorsitzende Jewhen Sacharow betonte, der administrative Druck des Staates auf die Bürger in der Ukraine sei nach der orange Revolution schwächer geworden. Früher sei eine Geschäftstätigkeit nur dann möglich gewesen, wenn sie von der Staatsmacht gestützt worden sei. Heute seien solch enge Beziehungen nicht mehr notwendig, wobei aber eine vollständige Trennung zwischen Staatsmacht und Geschäftswelt nicht vollzogen worden sei, erklärte der Menschenrechtler. Die Unterdrückung politischer Gegner habe in der Ukraine aufgehört und die Rechtschutzorgane würden nicht mehr als Instrument im politischen Kampf eingesetzt, unterstrich Sacharow. Erklärungen der heutigen Opposition, wonach sie politisch verfolgt werde, seien reine Demagogie.

Kritik an Informationspolitik

Die neue ukrainische Staatsmacht betrachtet die Erfolge im Bereich der Meinungsfreiheit als eine ihrer größten Errungenschaften. Trotzdem gibt es Kritik an der Staatsmacht – so von den Teilnehmern einer Diskussion über die Informationspolitik in der Ukraine, die vom Institut für Massenmedien, der ukrainischen Vertretung der Reporter ohne Grenzen, organisiert wurde. Der Leiter der Ukrainischen Presseakademie, Walerij Iwanow, sagte, den Führern der orange Revolution sei es nicht gelungen, eine klare Informationspolitik zu verfolgen: "Positiv ist, dass die staatliche Zensur verschwunden ist, aber es wurden keine Mechanismen geschaffen, die eine Wiedereinführung der Zensur verhindern würden. Wir haben immer noch keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und die Entstaatlichung der Medien hat nicht einmal begonnen", sagte Iwanow. Die Experten stellten fest, dass die ineffektive Informationspolitik der orange Staatsmacht oft dazu führe, dass ihr Kurs im Lande selbst missverstanden werde. Dies werde vor allem bei der Erläuterung der europäischen Integration deutlich. Der Projektleiter des Rasumkow-Zentrums für politische und wirtschaftliche Studien, Walerij Tschalyj, ist überzeugt, dass bei weitem nicht alle Bürger des Landes die Initiativen des offiziellen Kiew verstehen und dass die Staatsführung ihrerseits nicht immer über die Stimmung in der Bevölkerung informiert ist: "Die Staatsmacht in Kiew verkündet viele Deklarationen und weiß nicht immer, was in den Regionen geschieht, wie die Stimmung im Osten und Süden der Ukraine ist."

Folter und Menschenhandel

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bemängelt in ihrem Jahresbericht 2005, dass Folterungen und Misshandlungen im Polizeigewahrsam nach wie vor an der Tagesordnung waren, obwohl die orange Staatsmacht den Paragrafen 127 des Strafgesetzbuches geändert habe, der den Tatbestand der Folter zum Gegenstand habe. Mit der Änderung wurde die Möglichkeit geschaffen, Staatsbedienstete wegen Folterhandlungen vor Gericht zu belangen. Der ukrainische Generalstaatsanwalt gab im September 2005 bekannt, dass 226 Strafverfahren gegen tatverdächtige Polizisten eingeleitet worden seien. Dennoch ließen laut Amnesty International Berichte vermuten, dass Beamte mit Polizeibefugnissen nach wie vor ohne strafrechtliche Konsequenzen auf Folterungen zurückgriffen, um etwa Geständnisse zu erpressen. Weiterhin kritisiert Amnesty International die Bedingungen in den Untersuchungshaftanstalten, deren Mehrzahl internationalen Standards zuwiderliefen. Die sanitären Anlagen oder Belüftungssystems seien unzulänglich. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Menschenhandel. Amnesty International zufolge gehört die Ukraine weiterhin zu den Staaten, aus denen eine große Zahl von Männern, Frauen und Kindern ins Ausland verkauft werden, obwohl das Strafgesetzbuch Menschenhandel unter Strafe stellt.

Oleksandr Sawyzkyj, Kiew
DW-RADIO/Russisch, 19.5.2006, Fokus Ost-Südost