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Verheerende Menschenrechtsverletzungen

Rachel Baig11. März 2013

Zehn Jahre nach dem Einmarsch von US-Truppen im Irak zieht Amnesty International Bilanz: Noch immer gehören Verletzungen der Menschenrechte zum Alltag in Gefängnissen. Faire Prozesse gibt es kaum.

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Gefangene im irakischen Gefängnis Abu Ghraib (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images

"Weder die irakische Regierung, noch die ehemaligen Besatzungsmächte halten sich an grundlegende Menschenrechtsstandards, und die Menschen im Irak zahlen den Preis dafür." Diese ernüchternde Schlussfolgerung zieht Carsten Jürgensen, der Irak-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, im Interview mit der Deutschen Welle.

Am 20. März jährt sich der Einmarsch amerikanischer Truppen in den Irak zum zehnten Mal. Aus diesem Anlass hat sich Amnesty International mit der Entwicklung in dem Land befasst und nun einen dramatischen Lagebericht veröffentlicht. Der Titel: "Ein Jahrzehnt der Menschenrechtsverletzungen". Das Fazit: Zehn Jahre nach dem Ende der Herrschaft von Saddam Hussein gibt es noch immer zahlreiche Menschenrechtsverstöße.

Unfaire Verfahren und Folter

Carsten Jürgensen, Irak-Experte von Amnesty International (Foto: AI)
Carsten Jürgensen, der Irak-Experte von Amnesty InternationalBild: Amnesty International

Der knapp 100-seitige Report schildert in zahlreichen Fallbeispielen, wie die irakischen Behörden Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit missachten. Mit absoluten Zahlen geht der Bericht sparsam um, die Dunkelziffern sind laut Amnesty International extrem hoch. Folter, Angriffe auf Zivilisten und unfaire Gerichtsverfahren seien an der Tagesordnung, berichtet die Menschenrechtsorganisation.

Udo Steinbach, Politologe und Islamwissenschaftler, schätzt die Lage im Irak ähnlich ein: "Es muss eine Neuausrichtung der inneren und äußeren Politik erfolgen, damit sich die Menschenrechtslage im Land verbessert", sagte Steinbach der DW. "Theoretisch gibt es Gesetze, die Folter verbieten und besagen, dass Geständnisse, die unter Folter entstanden sind, nicht als Beweismittel zugelassen werden können", erklärt Jürgensen.

Oft werde der Widerruf einer Aussage im Prozess ignoriert. Viele Richter hielten ein zunächst erfolgtes Geständnis für glaubwürdiger als einen späteren Widerruf. "Inhaftierte Menschen werden häufig in der ersten Phase der Haft gefoltert, um Geständnisse zu erzwingen. Das berichten nicht nur Gefangene und Anwälte. Man findet das auch in Gerichtsunterlagen indirekt dokumentiert", so Jürgensen.

Fehlende Aufarbeitung der Besatzungszeit

Zu den Foltermethoden zählen laut Amnesty International Elektroschocks an Genitalien und anderen Körperstellen sowie der Entzug von Nahrung, Wasser und Schlaf. Auch werde den Gefangenen mit der Festnahme und Vergewaltigung ihrer weiblichen Verwandten gedroht. Viele Angeklagte würden nach unfairen Prozessen auf der Grundlage von Geständnissen, die sie unter Folter gemacht hätten, zum Tode verurteilt.

Ein irakischer Häftling, dem eine Kappe über den Kopf gezogen wurde und an dessen Händen Elektrokabel befestigt sind, im Gefängnis Abu Ghraib (Foto: EPA)
Nicht nur ausländische Streitkräfte sollen Häftlinge im Irak gefoltert habenBild: picture-alliance/dpa

Der Irak liege mit 129 Hinrichtungen im Jahr 2012 an der Spitze der Staaten, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird, sagt Jürgensen. In dem Bericht klagt Amnesty International neben irakischen Sicherheitskräften auch britische und amerikanische Soldaten an, Menschenrechte verletzt zu haben. Zwar seien die letzten US-Kampftruppen Ende 2011 abgezogen, doch die Aufarbeitung der Vergehen lasse auf sich warten. "Es hat einige Verurteilungen in den USA und Großbritannien gegeben. Das waren aber nur Offiziere von unteren Rängen", so Jürgensen. Für die Zukunft fordern die Menschenrechtsaktivisten grundlegende Reformen. "Der Wandel muss aus dem Irak selbst kommen. Natürlich ist internationale Solidarität, wenn es um Menschrechte geht, wichtig und hilfreich."

Fehlende Rechtsstaatlichkeit

Sowohl Jürgensen als auch Steinbach konstatieren trotz der Kritik insgesamt eine Verbesserung der Situation im Vergleich zu 2003. "Heute haben die Menschen im Irak natürlich viel mehr Freiheiten als unter Saddam Hussein. Es ist aber nicht gelungen, einen funktionierenden Rechtsstaat zu etablieren, der fundamentale Menschenrechte respektiert", sagt Jürgensen. Die Forderung von Amnesty International sei deshalb, Sicherheitsmechanismen zu etablieren, um Folter zu unterbinden. "Eine ganz wesentliche Verbesserung wäre schon, dass Menschen nicht über Tage und Wochen ohne Kontakt zu Angehörigen oder Anwälten in Haft gehalten werden."

Der deutsche Politologe Udo Steinbach (Foto:DW)
Udo Steinbach begrüßt den Bericht von Amnesty InternationalBild: DW

Nach Einschätzung von Udo Steinbach war die Entwicklung nach dem US-Einmarsch vorhersehbar. "Man hat den Staatsapparat, das Militär, und die Sicherheitskräfte zerstört. Damit hat man die gesamte Infrastruktur zerstört. Was wir jetzt an Ausübung diktatorischer und konfessionalistischer Machtausübung sehen, ist eine Folge dieser falschen Politik", beklagt der Islamwissenschaftler. Allerdings habe die Invasion das Tor zur Demokratie aufgestoßen. Nun müsse die internationale Gemeinschaft den Prozess aktiv begleiten. "Ich glaube, die Veröffentlichung von Amnesty International ist zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Die Menschen im Irak demonstrieren gegen die Missstände. Sie werden nun durch ein solches Gutachten unterstützt."