1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Merkel auf dünnem Eis

19. September 2005

Sie sprach von einem "ganz eindeutigen Regierungsauftrag". Doch nach dem Wahldebakel könnte Angela Merkel zu spüren bekommen, dass ihr die feste Verankerung in der Union weiter fehlt.

https://p.dw.com/p/7Bxn
Beginnen jetzt die Schuldzuweisungen?Bild: dpa
CDU bestürzt über Wahlsieg
Ein bitterer Sieg für Angela MerkelBild: AP

Von der Euphorie der amerikanisch angehauchten Parteitage der Union in jüngster Zeit war am Wahlabend in der CDU-Zentrale in Berlin kaum noch etwas zu spüren. Einzig die "Angie, Angie"-Rufe erinnerten noch einmal an die großen Hoffnungen und Ziele der Union und ihrer Spitzenkandidatin Angela Merkel in den zurückliegenden Wochen. Merkel winkte den Anhängern von der Bühne aus nur matt zu und verschwand nach ihrer Rede schnell wieder mit einem müden Lächeln. Vielleicht ahnte sie schon, was in der Unionsspitze hinter vorgehaltener Hand geraunt wurde: Mit dem Wahldebakel dürfte die CDU-Vorsitzende wie kaum zuvor auf dünnes Eis geschickt worden sein.

Personaldebatte um Merkel?

In den Wahlkampf war Merkel mit Traumwerten in den Umfragen gestartet. Nun drohen nicht nur von ihren parteiinternen Widersachen massive Angriffe - und auch eine Personaldebatte um die Kandidatin scheint keineswegs ausgeschlossen. Das Wahlergebnis hat ganz eindeutig die Unions-Ministerpräsidenten gestärkt, voran die CDU-Regierungschefs aus Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg, Roland Koch und Christian Wulff und Günther Oettinger. Wie auch immer die Konstellation im Bund aussehen mag, auf sie kommt es jetzt wesentlich an, wenn es in Deutschland mit den nötigen Reformen weitergehen soll.

Das CDU-Präsidium hatte noch vor Schließung der Wahllokale in einer Telefonkonferenz über das schlechte Abschneiden beratschlagt. "Es herrschte Verstörung, wir mussten das Debakel erst einmal verdauen", schilderte ein Teilnehmer die Beratungen. Andere erklärten, Merkel und ihrem Generalsekretär Volker Kauder seien im Wahlkampf zu viele Fehler unterlaufen. "Der Wahlkampf war viel zu eindimensional auf die Themen Wirtschaft und Arbeit ausgerichtet", sagte auch ein Vorstandsmitglied. Die Debatten um Merkels Wunsch-Finanzminister Paul Kirchhof und dessen radikale Reformkonzepte in der Steuer- und der Rentenpolitik hätten der Union zusätzlich große Einbußen beschert.

"Sie wird ihren Traum nicht aufgeben"

Dennoch werde Merkel am Ziel festhalten, erste Kanzlerin in Deutschland zu werden. "Sie wird nicht ihren Lebenstraum aufgeben, nur weil sich die Deutschen aus ihrer Sicht an einem Sonntag verwählt haben", so das Vorstandsmitglied. Ein CDU-Präside sagte, Merkel drohten nun offene Machtkämpfe - vor allem mit den Ministerpräsidenten von CDU und CSU, von denen viele zu ihren schärfsten Widersachern zählen. Diese haben bislang Unterstützung nur für den Fall einer Koalition mit der FDP versprochen und könnten bei Reformvorhaben Zünglein an der Waage spielen. Nun müsse sich die CDU-Chefin auf empfindliche Querschüsse und Angriffe auf ihre Führungsposition einstellen.

CDU nicht glücklich
Schock in der Union: CDU-Mitglieder werden mit dem Wahlergebnis konfrontiertBild: AP

Andere haben inzwischen ganz offen mit Schuldzuweisungen begonnen. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok gab Kirchhof Mitschuld am schlechten Abschneiden. "Einige Leute wie Kirchhof wissen nicht, wann sie was sagen sollen, und wann sie besser schweigen", sagte Brok der Berliner Zeitung (Montagsausgabe). "Zum Schluss war die Angst vor Kirchhof größer als die Angst vor Hartz", sagte Brok, der auch Mitglied im Bundesvorstand der CDU ist.

Schuldzuweisungen haben begonnen

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) räumte ein, dass die Diskussion um das Steuerkonzept Kirchhofs für Irritationen im Wahlkampf gesorgt habe. Gleichzeitig verteidigte Wulff in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" Merkel: "Es war die richtige Kandidatin und Kirchhof war auch ein richtiger Mann fürs Kompetenzteam." Es hätten aber keine Irritationen über die unterschiedlichen Konzepte aufkommen dürfen: "Es war eben nicht der Wissenschaftler Kirchhof, sondern es war das Steuerkonzept der Union, das auch von Kirchhof vertreten werden sollte." Diese "Unklarheit" habe der Union ein "Problem gemacht", weil sie die Kampagne der SPD erleichtert habe. Der ehemalige Verfassungsrichter habe zwar zugesagt, das Unionsprogramm zu vertreten, es sei dann aber "ein bisschen unglückselig gelaufen", sagte Wulff.

"Sie beherrscht die Machtspiele"

Der sächsische Kultusminister Steffen Flath (CDU) griff in der Sächsischen Zeitung (Montagsausgabe) CSU-Chef Edmund Stoiber scharf an. "Die Aussagen von Herrn Stoiber haben uns vor allem im Osten immens geschadet", erinnerte Flath an abfällige Äußerungen des CSU-Chefs über "Frustrierte" in Ostdeutschland, die den Wahlausgang bestimmen würden. Stoibers Hilfe für den Wahlkampf der CDU-Chefin Angela Merkel habe "nur halbherzig und nicht überzeugend" gewirkt. Indirekt übte Flath allerdings auch Kritik an Merkels Wahlkampfführung. Dass die Union das Steuer-Thema so stark in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt habe, sei "ein Fehler" gewesen. "Das Thema Steuern, vor allem die Mehrwertsteuer-Erhöhung, taugt nichts für den Wahlkampf. Das war falsch."

"Es war im Wahlkampf kaum zu vermitteln, dass wir zwei Steuerkonzepte vertreten, unser Regierungsprogramm und das von Paul Kirchhof. Damit waren wir immer in einer defensiven Position", sagte auch CSU-Vize Horst Seehofer der Leipziger Volkszeitung. Seehofer lehnte aber Personaldiskussionen zum jetzigen Zeitpunkt ab. Auch der Finanzexperte Friedrich Merz übte Kritik am CDU-Wahlkampf. Ein hochrangiges CDU-Führungsmitglied verwies am Sonntagabend jedoch auf Merkels Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen: "Wenn jemand die Machtspiele beherrscht, dann ist es Angela Merkel." (stu)