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Aufstand gegen Merkel

Volker Wagener15. Januar 2016

Noch im Dezember feierte die CDU die Kanzlerin mit geradezu "sowjetischer" Einmütigkeit. Zehn Minuten stehender Applaus auf dem Parteitag für Merkels Flüchtlingspolitik. Seit Köln aber formiert sich Widerstand.

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Archivbild Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Im Winter sollte ein Fahrplan entstehen, um die massenhafte Flüchtlingsankunft politisch, organisatorisch und rechtlich zu regeln. Dann, so das Kalkül in Berlin, wenn die Tages-Flüchtlingszahlen nicht mehr bei über 10.000 liegen. Die Devise lautete: Zeit gewinnen und handeln, wenn der Zustrom geringer wird. Zwar kommen inzwischen nur noch 3000 Menschen pro Tag über Bayern nach Deutschland, doch in der Summe sind das weitere knapp 100.000 im Monat, die zu den rund 1,1 Millionen Neuankömmlingen aus dem Jahr 2015 hinzukommen. Was, umgerechnet auf das ganze Jahr und bei wieder ansteigender Zuwanderung, auf weit mehr als eine Million neue Flüchtlinge hinausliefe.

Solche und ähnliche Rechnungen stellt nicht nur der viel zitierte besorgte Bürger auf. Kalkuliert wird auch in Merkels CDU. "Unterirdisch" sei die Stimmung an der Basis, gab der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, zu Protokoll. Und in der Fraktion, Merkels stehendem Heer im täglichen politischen Kampf, ist die Vorstufe zum Putsch schon erreicht. Merkels Widersacher sitzen nicht in der Opposition, sondern im eigenen Lager.

Flüchtlingszahlen steigen, die Zustimmung für Merkel sinkt

Und auch in der Bevölkerung schwindet der Glaube an Merkels Mantra "Wir schaffen das!" stetig. Erstmals sind mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Deutschen der Meinung, "Wir schaffen das nicht" - so die jüngste Umfrage der ARD. Nur noch 44 Prozent stehen hinter Merkel beziehungsweise hinter ihrem Flüchtlingskonzept. Das ZDF-Politbarometer fällt noch beunruhigender für die Politik der Kanzlerin aus. Rund 60 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Deutschland die hohe Zahl an Flüchtlingen nicht verkraften kann. Noch im Dezember votierten nur 46 Prozent gegen den Merkel-Kurs.

CDU Obergrenze für Flüchtlinge (Foto: Daniel Karmann/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++)
Offene Kontroverse in der Union: CSU-Chef Seehofer kanzelt Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik abBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Wettlauf mit dem Faktor Zeit

Vor allem der kollektive Widerstand aller anderen EU-Länder, Flüchtlinge in nennenswertem Umfang aufzunehmen, erhöht den Druck auf die deutsche Regierungschefin. Zwar versichert ihr der Unions-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, sie habe für Verhandlungen mit der EU über ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingspolitik die Zeit, die sie benötige. Doch die Gespräche treten auf der Stelle.

Auch andere Maßnahmen kommen nur langsam voran. Das Asylpaket II, das unter anderem Schnellverfahren für die Anerkennung regeln soll, wird noch kontrovers diskutiert. Der Verabschiedungstermin ist noch offen. Gestritten wird weiter über eine mögliche - zumindest temporäre - Schließung der Grenzen. "Eine Schlange an der deutsch-österreichischen Grenze ist mir lieber als die Vorfälle auf der Kölner Domplatte", sagt dazu der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster.

Kaum nennenswerte Effekte zeigt auch die Abschiebepraxis. Zwar wird nur jeder zweite Antragsteller anerkannt, abgeschoben wird aber immer noch nur sporadisch. Es werde immer deutlicher, so der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, dass das Asylrecht nicht geeignet sei, um die sozialen Probleme auf der Welt zu lösen. Selbst der Beschluss, die Videoüberwachung an Bahnhöfen auszuweiten, benötigt Zeit, die Bevölkerung und Union der Kanzlerin zunehmend weniger bereit sind einzuräumen.

Deutschland Flüchtlinge LaGeSo Berlin (Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++)
Angekommene Flüchtlinge in Berlin: Die Behörden sind überfordertBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Testfall Fraktionssitzung 26. Januar

Schon bei der ersten Fraktionssitzung der Union im neuen Jahr flogen die Fetzen. Lautstark und emotional soll es zugegangen sein. Merkel wurde heftig kritisiert und aufgefordert, Korrekturen vorzunehmen. Es soll ein regelrechtes Tribunal gegen Merkel gewesen sein. Inzwischen haben die Rebellen einen Brief in Umlauf gebracht, der Anfang kommender Woche im Kanzleramt eingehen soll. Schon 40 der 310 Fraktionsmitglieder haben unterschrieben. Der Inhalt soll nicht publik gemacht werden - so viel Loyalität darf Merkel noch erwarten.

Doch schon am 26. Januar, bei der nächsten Fraktionssitzung, könnte es zum Showdown kommen. Vor allem dann, wenn es Merkel am 22. Januar bei den deutsch-türkischen Konsultationen nicht gelingen sollte, die Türkei zu einer deutlichen "Flüchtlingsbremse" zu überreden. Und dieser Wunsch wird wohl nur dann in Erfüllung gehen, wenn die EU endlich die zugesagten drei Milliarden Euro zusammenbringt, die sie Ankara für die Hilfe in der Flüchtlingspolitik versprochen hatte. Merkels innenpolitische Zukunft könnte sich somit auch am Bosporus entscheiden.